Schon Oma wußte: Eine Medizin muß nicht unbedingt schmecken, sondern helfen. Übertragen auf Hartz IV stellt sich die Frage: Heilen die von der Union geplanten Maßnahmen für Empfänger von Arbeitslosengeld II die wirtschaftlichen und sozialen Wunden hierzulande nachhaltig oder erweist sich das angedachte Maßnahme-Paket als wirkungslose Tinktur?
In erster Linie geht es ums Sparen, was nachvollziehbar ist: Der verlängerte Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan will ebenso bezahlt sein wie der im unruhigen Kongo, wo bei Wahlen schon mal, was hierzulande zumindest offiziell unmöglich ist, Stimmen für bestimmte politische Kräfte unter den Tisch gekehrt oder Wählerkreise gleich ganz entsorgt werden. Berappt werden muß auch – natürlich zu großen Teilen aus deutschen Steuerkassen - der für den 1. Januar 2007 geplante EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens.
Da wirkt es nachvollziehbar, wenn die Union, wie es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5. Oktober heißt, "mit einer Reihe von Sparmaßnahmen … die Kosten für Hartz IV in den Griff" zu bekommen gedenkt. "Um die Mietkosten der Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu senken, soll die Angemessenheit der Wohnung nicht mehr nur nach der Quadratmeterzahl, sondern auch nach anderen Kriterien wie zum Beispiel der Miethöhe beurteilt werden. Die Heizkosten sollen so pauschaliert werden, daß sich eine Kostensenkung ergibt." Dumm nur, daß in einigen Landkreisen und Kommunen bereits seit längerer Zeit genau nach der Maßgabe "Miethöhe" verfahren wird. In vielen Gegenden ist es aufgrund von Lage (Nähe zu begehrten Urlaubszentren) und Sanierungsgrad jedoch schwer, den für Kommunen und ARGEen genehmen, eben billigeren Wohnraum zu bekommen. Die Heizkostensenkung (der Winter steht schließlich vor der Tür) ließe sich allerdings mit einem altbekannten Rezept aus dem "Survival" (Überlebenstraining) erreichen: Man umwickle den Körper mit Alufolie – die wirkt schön isolierend.
Nimmt man eine weitere Überlegung der Unions-Kreise ernst, dürfte in deutschen Landen bald die massenhafte Auflösung privater Fuhrparks erfolgen. Möglich, daß es hie und da von Hartz IV betroffene Haushalte gibt, die zwei Kraftwagen halten. Der flotte Ferrari oder der dicke Mercedes vor der Haustüre dürfte überdies hier eher selten zu finden sein. Womöglich schließen gewisse und überversorgte politische Kreise ja auch nur zu schnell von sich auf andere …
Geht es nach Kauder und Konsorten, sollen PKW, die einen Wert von 10.000 Euro übersteigen, dem Verkauf anheimfallen, bevor staatliche Leistungen bezogen werden können. Viel Spaß beim Verkaufen, mag man angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage der meisten Privathaushalte sarkastisch hinzufügen.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß dieser Punkt in weiten Teilen der "Opposition" auf Ablehnung stößt. Sie alle (bis hin zur Linkspartei) plädieren ja in Zeiten der berufliches Zigeunertum fördernden Globalisierung gerade für "Flexibilität". So wendet sich denn auch Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) heftigst gegen die 10.000-Euro-Klapperkisten-Regelung: "Viele Arbeitslose haben nur mit großer räumlicher Flexibilität eine Chance auf eine neue Anstellung. Die Mehrzahl der Arbeitssuchenden will arbeiten und würde dafür auch weite Anfahrtswege in Kauf nehmen. Hier unflexible Regelungen zu treffen und pauschal ein zweites Auto zu verbieten, wäre kontraproduktiv." Tiefensee weiß, wovon er spricht. Dem politischen "Sommerloch" verpaßte er eine kleine Füllung, indem er sich dafür aussprach, nur noch "Wachstumskerne" (im Wirtschaftsjargon der Neuzeit "cluster" genannt) zu fördern. Gegenden also, die "keine Wachstumsraten" verzeichneten und deren Bewohner nur außerhalb Arbeit fänden, sollen von Fördermaßnahmen gänzlich ausgeschlossen werden. Für ohnehin arg gebeutelte Landkreise (z. B. OVP, UER) wäre dies das endgültige "Aus". Insofern denkt der Mann überaus konsequent und in den Kategorien der Globalisten: Dem Rostocker soll Hamburg oder Shanghai näher sein als die unmittelbar benachbarten Gebiete, aus denen er womöglich sogar stammt.
Zurück zu den "Optimierungsvorhaben" der Union: Auch die Amtsärzte dürften sich freuen, da nun auch ihr Arbeitsregime eine straffere Gestaltung erfahren könnte: "Wenn sich Langzeitarbeitslose krank melden", so die FAZ, "soll dies auch ohne deren Einwilligung von einem Amtsarzt überprüft werden können".
Weitgehende Einigkeit scheint innerhalb der "Großen Koalition" über die hinsichtlich der Zuverdienstgrenzen geplanten Neuregelungen zu bestehen. Der derzeitige anrechnungsfreie Betrag aus einem "Mini-Job" beläuft sich auf 100 Euro und soll auf 40 Euro abgesenkt werden. Im Gegenzug sollen die Betroffenen von Monatseinkünften jenseits der 400-Euro-Marke deutlich mehr behalten dürfen als bisher, um so, wie es Unions-Fraktionschef Volker Kauder vorschwebt, den "Übergang in eine reguläre Beschäftigung" (Handelsblatt vom 5. Oktober) zu erleichtern. Etwas "Reguläres" zu finden, wird jedoch immer schwieriger. Von rund 38 Millionen, die in deutschen Landen über einen Arbeitsplatz verfügen, sind nur noch 26 Millionen voll sozialversicherungspflichtig beschäftigt. In den zurückliegenden zwölf Monaten ging die Zahl jener vollwertigen, weil klassisch gestützten Beschäftigungsverhältnisse noch einmal um rund 500.000 zurück.
Getreu dem US-amerikanischen Vorbild erhalten Arbeitssuchende das Gefühl, sich am Rande der Legalität zu bewegen, zumindest aber an ihrem Schicksal selbst Schuld zu tragen. Worte wie "Mitnahmementalität" oder "Überversorgung" müssen für die meisten einem Schlag ins Gesicht gleichkommen. Tatsächlich fahren viele, die ALG II beziehen, besser als ein Gebäudereiniger, eine Kassenkraft im Supermarkt oder die Angestellte in einem Frisiergeschäft. Hat der Hartz-IV-Betroffene aber Schuld am Schicksal desjenigen, der sich trotz Arbeit auf ALG-Niveau bewegt? Wohl kaum. Und befriedigend ist die Situation für die meisten, faktisch am Ende der Nahrungskette angekommenen, auch nicht.
Klare Ansagen vermißt man auch in anderer Hinsicht: Zwar wird hin und wieder der "Mißbrauch" der "Ein-Euro-Jobs" beklagt. Doch unverändert werden in den (finanziell klammen) Kommunen Arbeiten, die früher ein Familienbetrieb erledigte, "Ein-Euro-Jobbern" übertragen.
Und: Derweil unter 25jährige Arbeitslose – für sie gelten ohnehin seit längerem restriktive Handhabungen von Hartz IV – förmlich außer Landes geekelt werden, warnen Wirtschaftsfachverbände in M-V vor einem absehbaren (2008, spätestens 2010 eintretenden) Fachkräftemangel. Wie wär’s mit der gezielten Aufbau- oder Umschulung junger Deutscher? Hier empfiehlt sich eine Umstrukturierung der Arbeitsämter beispielsweise nach den Branchen bzw. Fachrichtungen der Wirtschaft. Das wär’ doch mal was, anstatt Millionen für die Umgestaltung des Arbeitsagentur-Logos zu verpulvern.
Doch geben wir auch hier gern zu: Arbeitskräfte aus Osteuropa und Asien (die den dortigen Staaten dereinst auch fehlen werden) tun’s ja auch. Die Manager der Bundesligen im Fuß-, Hand- und Basketball sowie Eishockey machen’s uns seit einigen Jahren vor. Schläft Michel seelenruhig weiter, wird er, so noch in Arbeit befindlich, bald sehr viel Zeit zum Sportgucken haben.
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Erstellt am Samstag, 07. Oktober 2006