Der Auftakt zur Fußball-WM in Brasilien wurde von Ausschreitungen überschattet. Verwundern kann dies angesichts der immensen innenpolitischen Probleme nicht.
„Schulen und Hospitäler nach FIFA-Standard“: Wohl kaum ein anderer Spruch könnte die Stimmung weiter Bevölkerungsteile im WM-Ausrichterland so trefflich beschreiben wie jene auf Plakate gedruckte Aufschrift. Während der jüngsten Proteste wurden sie zu Hunderten in die Höhe gereckt – in Anspielung auf die supermodernen (und auch sündhaft teuren!) Stadien, die im Vorfeld der bald beginnenden Fußball-WM von Lohnsklaven errichtet worden sind.
Was ist los in einem Land, in dem Fußball neben Karneval quasi zu einer Art Ersatzreligion erhoben wird? Nun, die Probleme haben sich dort derart aufgestaut, daß für viele Zeitgenossen pompöse Brot- und Spiele-Veranstaltungen in den Hintergrund treten. Das Gesundheits- und Bildungssystem ist miserabel, die Infrastruktur marode. Die Löhne sind meistens gering; Boden- und Wohnungsspekulation überwuchern – gepaart mit Korruption - die Gesellschaft wie Metastasen.
Große Wut beherrscht auch die Unterschichten, da so manches Armenviertel zugunsten von WM-Strukturen plattgemacht wurde.
Hinzu kommt eine teils überbordende Kriminalität. „Sechs der Spielorte gehören laut einer aktuellen Studie zu den 50 gefährlichsten Städten der Welt“, berichtete die Bild-Zeitung am 27. April, wobei auch festgestellt wird: „Die Pazifizierung der Favelas gilt als gescheitert“, jener slumähnlichen Gebiete also, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, nachdem in Brasilien die Sklaverei aufgehoben worden war.
WM-Kosten aus dem Ruder gelaufen
Auf der anderen Seite sind die Kosten für die Weltmeisterschaft aus dem Ruder gelaufen. Einer Studie des brasilianischen Bundessenats zufolge kostet die WM 40 Milliarden Dollar. Allein die Arena in Brasília verschlang umgerechnet 620 Millionen Dollar; ursprünglich waren hierfür etwa 200 Millionen veranschlagt worden. Die Baukosten für das bekannte Estádio do Maracanã in Rio kletterten laut Bild auf 423 Millionen Euro, was eine Verdoppelung des anfänglichen Ansatzes bedeutet.
Im Vorjahr dann hatte das Wasser im Kessel seinen Siedepunkt erreicht. Die Dampfpfeife konnte dem Druck nicht länger standhalten und löste sich mit schrillen Geräuschen vom Topf. Das Turnier um den Confed-Cup bildete Anlaß und Rahmen für Proteste, die weite Teile Brasiliens betrafen.
Hunderttausende gingen auf die Straße, um gegen die Gigantomanie zu protestieren; teils geschah dies auf friedliche, teils auf gewaltsame Weise. Die Demos setzten sich fort. Mitte Mai dieses Jahres dann der vorläufige Höhepunkt, als in 50 Kommunen zeitgleich Kundgebungen stattfanden.
Der Busfahrer, die Lehrerin oder auch Universitäts- und Klinikangestellte können nicht verstehen, warum einerseits Milliarden für die WM verpulvert werden, während sich ihre Arbeitsbedingungen immer weiter verschlechtern. In Brasília marschierten indianische Ureinwohner zur WM-Spielstätte, um ihren Unmut über Gesetzesänderungen zu indigenen Territorien und die Kosten für das sportliche Großereignis zum Ausdruck zu bringen. „Mit Pfeil und Bogen gegen die Fußball-WM“ titelte die Neue Zürcher Zeitung am 28. Mai.
Nur das Premium-Produkt zählt
Der allmächtige und auch in Europa ungeliebte Joseph Blatter, Boß des Weltfußball-Verbandes FIFA, machte es sich (wieder einmal) sehr einfach: Im Exklusiv-Interview mit dem brasilianischen Fernsehsender Globo kanzelte er bereits im Juni 2013 die landesweiten Proteste kurzerhand ab.
„Brasilien hat sich um diese WM beworben. Wir haben die WM Brasilien nicht aufgezwungen“, sagte Blatter, für den die Demonstrationen „keine Angelegenheit für die FIFA“ darstellen. Auch könne er die Kritik an den Kosten nicht verstehen. Die neu erbauten und erweiterten Busbahnhöfe, Hotels und Flughäfen seien „Objekte des Vermächtnisses für die Zukunft“ - blumige Worte eines Konzern-Oberhaupts.
N-TV-Recherchen indes widerlegen Blatters Argumentation: „In Südafrika, WM-Ausrichter 2010, sind zahlreiche Stadien ein nutzloses und teures Erbe, eine Herde Weiße Elefanten, Großbauten, die nicht wirtschaftlich genutzt werden können und lediglich hohe Kosten verursachen.“ Einige der Arenen wie das Stadion in Kapstadt seien „eigens auf FIFA-Geheiß erbaut“ worden, „obwohl auch vorhandene Stadien hätten genutzt werden können. Um eine sinnvolle Nachnutzung kümmert sich die FIFA nicht; sie will nur prächtige Fußballtempel für ihr Premiumprodukt WM“ (n-tv, 19. Juni 2013).
Allgemeinheit trägt Kosten
Die entsprechenden Prognosen für Brasilien sehen offenbar noch viel düsterer aus, hieß es in dem Beitrag des Nachrichten-Senders weiter. Zum damaligen Zeitpunkt erwarteten die Wissenschaftler Jens Alm und Jens Sejer Andersen vom Dänischen Institut für Sportwissenschaften für die WM 2014 sogar eine vergleichsweise eher unterdurchschnittliche Auslastung der Stadien. Einigen der hypermodernen Arenen drohe zudem das Schicksal „Weißer Elefanten“. Betroffen sein könnten insbesondere die jeweils 42.000 Besucher fassenden Stadien in Manaus, Cuiabá und Natal sowie das renovierte Stadion in Brasília mit einem Fassungsvermögen für 70.000 Zuschauer. Die Hauptnutzer sind in allen Fällen Vereine, die in unterklassigen Ligen spielen und zwischen 2.000 und 5.600 Fans anziehen.
Die ernüchternde Bilanz für den letzten WM-Ausrichter steht jedenfalls fest: „Während Südafrika mit der Endrunde mehr als drei Milliarden Euro Verlust machte, verbuchte die FIFA Einnahmen von mehr als zwei Milliarden.“ Der Weltfußballverband also als ein global agierender Konzern, der sich von anderen seiner Zunft in nichts unterscheidet: Profitmaximierung ist das oberste Ziel! Die Kosten hat auch hier die Allgemeinheit zu schultern. Der FIFA-Slogan „Entwickle das Spiel, berühre die Welt, errichte eine bessere Zukunft“ bekommt so einen ganz neuen Sinn.
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff kündigte unterdessen ein hartes Durchgreifen an. Wie das Portal amerika21.de am 30. Mai 2014 berichtete, versicherte Roussew bei einem Treffen mit Unternehmern, „daß während der WM nicht das Gleiche passieren wird, was während des Confederation-Cups geschehen ist.“ Notfalls werde das Militär zum Einsatz kommen.
Den Berg an Problemen wird man mit der Dampfhammer-Methode natürlich nicht abtragen können. Und so dürfte die Forderung wohl auch nach der Weltmeisterschaft lauten: „Schulen und Hospitäler nach WM-Standard“.
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Erstellt am Samstag, 14. Juni 2014