Es breitet sich leider immer mehr die Unsitte aus, daß Stadtoberhäupter meinen sich zu Hütern des etablierten Parteiensystems aufschwingen zu müssen und dabei ungeniert über die ihnen zustehenden Möglichkeiten der Verfügung über ihre Verwaltungen Gebrauch machen. Recht und Gesetz bleiben dabei außen vor.
So geschehen in Greifswald und in Anklam. Dort haben die jeweiligen Bürgermeister „mutig“ ihre Stadtverwaltung einschließlich Personal dazu mißbraucht, um Stimmung gegen NPD-Demonstrationen zu machen. Rechtswidrig, urteilten die Verwaltungsrichter nach Klagen der NPD.
Als rechtswidrig wurde jetzt auch das Verhalten des Bürgermeisters der Stadt Demmin, Ernst Wellmer (CDU), vom Verwaltungsgericht Greifswald eingestuft. Der preschte vor in Sachen NPD-Verbot und legte über mehrere Wochen in seinem Rathaus Unterschriftenlisten aus, in die sich Bürger eintragen konnten, die für ein Verbot der demokratischen Oppositionspartei waren.
Wie viele Unterschriften letzten Endes der Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider übergeben werden konnten, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, daß der Bürgermeister Wellmer höchstselbst unterschrieben hat. Das hätte er und das hätten sich andere Bürger aber sparen können, denn die Listen waren das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt wurden.
Die NPD beantragte beim Verwaltungsgericht Greifswald, die Rechtswidrigkeit der Aktion des Bürgermeisters der Stadt Demmin feststellen zu lassen und bekam Recht. Die Stadt Demmin habe dadurch, daß sie ihre Amtsräume für die Auslegung der Unterschriftenlisten zur Verfügung gestellt hat, gegen ihr das als Hoheitsträgerin verfassungsrechtlich auferlegte Neutralitätsgebot gegenüber politischen Parteien verstoßen, ist in dem Urteil zu lesen und weiter: „Die verfassungsrechtlich gewährleistete Chancengleichheit der politischen Parteien stellt einen wesentlichen Bestandteil der demokratischen Grundordnung dar und gilt nicht nur im Bereich von Wahlen und ihrer Vorbereitung, sondern beansprucht für den gesamten Bereich der politischen Willensbildung im Wettbewerb der Parteien Geltung.“
Die Greifswalder Verwaltungsrichter schrieben dem Stadtoberhaupt von Demmin ins Stammbuch, daß staatlichen Stellen die Äußerung zu politischen und weltanschaulichen Fragen nicht generell verwehrt sei. Dennoch müsse die Öffentlichkeitsarbeit auch schon den Eindruck einer werbenden Einflußnahme zugunsten oder zulasten einzelner Parteien vermeiden. Die Öffentlichkeitsarbeit dürfe nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen oder die Oppositionsparteien bekämpfen. Dies wäre mit den Grundsätzen eines freien und offenen Prozesses der Meinungsbildung und Willensbildung des Volkes und der Gleichberechtigung der politischen Parteien nicht vereinbar.
Es bleibt zu hoffen, daß die Verantwortlichen der wunderschönen Stadt Demmin dieses Urteil aufmerksam lesen, damit sie die Chance haben, ein Stück weit von ihrer Selbstgefälligkeit und Wurstigkeit wegzukommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (2 A 1072/11, Verwaltungsgericht Greifswald)
Frank Schwerdt
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Erstellt am Mittwoch, 06. Juni 2012