Harald R. und die „Tourismus-Ente“

„Nein! Bitte, die doch nicht! Nein, nein!“ Hans-Werner Irrwitz sitzt aufrecht in seinem Wasserbett: die Augen sind starr vor Angst, am schweißnassen Körper klebt der Pyjama. „Was hast du, komm’ doch zu Dir!“, meint seine Frau Condolezza mit sorgenvoller Miene. „Laß’ man, geht schon wieder. Hab’ nur geträumt, daß die NPD in den Landtag kommt. Muß nachher mal beim Ringstorff in Schwerin anrufen; die machen einfach zuwenig gegen die. Der Methling in Rostock hätte sich im Vorfeld der 1.-Mai-Demos beinahe mit den Rechten zu einem Kooperationsgespräch getroffen. Das Beste ist, ich rufe gleich bei ,Neues Deutschland’ an. Dann sollen die sich um unseren Landesfürsten kümmern.“
Hans-Werner ist Vorsitzender der Bürgerinitiative „Bleiberecht auch für ausländische Schlingpflanzen – gegen Kochen im eigenen Saft!“ Schlafen kann Irrwitz jetzt ohnehin nicht mehr. Er fährt seinen PC hoch, sucht die Netzseite des ND und zieht vom Leder: „… schlage ich deshalb vor, daß ihr, liebe GenossInnen, Herrn Ringstorff auch Fragen zur NPD in Meck-Pomm stellt.“ So, fertig.
Ein paar Tage später kann Hans-Werner die Tasse mit dem Morgenkaffee nur schwer unter Kontrolle bekommen. Sein Leib- und Magenblatt hat reagiert, wobei er den „antifaschistischen Reflex“ auch bei den Redakteuren der Schweriner Ostsee-, äh, Nordkurier-, pardon Volks-Zeitung hätte erleben können. ND aber ist nun einmal das „Original“.
Ob er im Hinblick auf den 17. September den Landtagseinzug der NPD befürchte? „Alle demokratischen Parteien sollten das tun, damit die NPD dieses Wahlziel nicht erreicht“, antwortete Harald Ringstorff, um, einmal in Fahrt gekommen, schnell nachzulegen: „Wir sehen, wie die NPD in Sachsen im Landtag schadet. (…) Aber gerade wir als Küsten- und Tourismusland sind auf Weltoffenheit angewiesen. Neonazis brauchen wir nicht im Landtag. Sie würden Arbeitsplätze verhindern und vernichten, aber keine schaffen.“

So liebe Leserin und lieber Leser: Wir bitten Sie jetzt, wieder zum Ernst des Lebens überzugehen. Ringstorffs Kernaussage lautet, daß gute bis sehr gute NPD-Wahlergebnisse Kurzbesucher, Urlauber oder auch Investoren abschrecken würden.
Im schulischen Bereich würde man sagen: „Abgeschrieben, lieber Harald!“ Belustigend oder peinlich (je nach Sichtweise) wird es dann, wenn das Kopierte schlichtweg falsch ist. So ließ der sächsische Minister für Wirtschaft und Arbeit, Thomas Jurk, 2004 im Gefolge des NPD-Wahltriumphes denselben Blödsinn vom Stapel.

Richtig ist vielmehr: Kein Urlauber wählt seinen Urlaubsort nach den parteipolitischen Gegebenheiten vor Ort aus. Maßgeblich sind natürliche oder architektonische Sehenswürdigkeiten, die Ausstrahlung der Menschen sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis.
Unterschieden werden muß zudem zwischen Einwanderungs- und Touristenfeindlichkeit. Zuwanderer, die den deutschen Staat ausbeuten, das Aussehen unserer Städte verändern und letztlich die Identität unseres Volkes gefährden, sind nicht willkommen. Touristen kommen und gehen. Mit ihrem Geld sorgen sie nicht unwesentlich für den Erhalt eines Bereichs der Wirtschaft.
Ebenfalls nichts einzuwenden ist gegen ausländische Studierende. Sie eignen sich in den (bei allen Krisenerscheinungen) im Ausland unverändert anerkannten deutschen Hochschulen Wissen an, das sie zum Wohle ihrer Herkunftsländer anwenden können und sollen.

Auch Investoren lassen sich von anderen Kenndaten als Wahlergebnissen leiten. Beispiele: Welche Verkehrsanbindungen bzw. –strukturen gibt es? Wie ist es um das für mich nutzbare Fachkräfte-Potential (liberalistisch ausgedrückt: „Humankapital“) bestellt? Im Zeitalter der Globalisierung kommen weitere Überlegungen hinzu: Wie hoch ist das Lohnniveau? Welche einst in öffentlicher Hand befindlichen Gebäude und Flächen sind der Privatisierung anheimgefallen und können so leichter genutzt werden? Und nicht zuletzt: In welchen Größenordnungen ist das Land bereit, sich an dem Projekt zu beteiligen (Stichwort: Förder-, vielmehr Steuergelder)? In Mitteldeutschland belaufen sich die Fördersätze auf zwischen 50 und 75 Prozent! Die Nähe zum „billigeren“ Osteuropa ist zudem gegeben, womit, sarkastisch ausgedrückt, eine Verlagerung der Stellen auch von der Entfernung her rasch zu bewerkstelligen ist.
Zugegeben: Im Landtag schadet die NPD tatsächlich: Sie ist schädlich für jene, die pausenlos vom „Konsens der Demokraten sprechen“, wenn es um die perfide Bekämpfung der nationalen Opposition geht. Sie ist schädlich für jene, die sich seit dem Einzug der NPD in den Sachsen-Landtag bei ihrem volksfeindlichen Treiben nun direkter Beobachtung ausgesetzt sehen. Denn „unverschämterweise“ darf die NPD-Mannschaft um Fraktionschef Holger Apfel kraft ihres Status’ als Parlaments-Truppe Einblick in Haushaltspläne nehmen, darf sie Große und Kleine Anfragen zugunsten des Mittelstandes und der kleinen Leute stellen. Deshalb zittert die Einheitspartei im Schweriner Schloß, deren Flügel (wie im Reichstag übrigens auch) nur pro forma als Parteien verfaßt sind.

Diese Zusammenhänge sind den meisten Menschen ohne weiteres zu vermitteln. Immer weniger lassen sich zudem vom Gewäsch eines Ringstorff oder eines Jurk ins Bockshorn jagen, was zur Folge hat? Na? Daß Sie, am 17. September ihr Kreuz bei den Direktkandidaten und der Landesliste der NPD machen!
Hans-Werner oder Condolezza – beide betreiben im Nebenerwerb eine Pension – könnten von einem Einzug der Volkstreuen vermutlich auch profitieren, weil sich Menschen sagen: In Mecklenburg und Pommern, da machen wir gern Urlaub!
Womöglich aber wandern die beiden auch aus. In die USA vielleicht, wo Solidargefühl und soziale Sicherheit bekanntermaßen derart ausgeprägt sind, daß das Dasein von ständigen Abenteuern (und wohl auch Alpträumen) begleitet ist.
zurück | drucken Erstellt am Dienstag, 22. August 2006