Haupt- oder Nebenerwerb: Können Inhaber landwirtschaftlicher Unternehmen in M-V oder anderen mitteldeutschen Ländern generell frank und frei über die Wahl der Betriebsform entscheiden, wie es die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage behauptet?
Der NPD-Abgeordnete Stefan Köster erkundigte sich nach den Hinderungsgründen „für Nebenerwerbsbetriebe, in den Haupterwerb zu wechseln.“ Antwort: Die Landesregierung sehe „grundsätzlich keine Hinderungsgründe. Bei der Wahl der Betriebsform handelt es sich um eine persönliche Entscheidung der Betriebsinhaberin beziehungsweise des Betriebsinhabers (
Drucksache 6/237).“ Kann man diese Aussage unwidersprochen im Raum stehen lassen? Mitnichten!
Bereits 2007 erklärte Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), zur Flächenvergabe der (bundeseigenen) Bodenverwaltungs- und verwertungs GmbH (BVVG): „Uns geht es darum, daß drei Viertel der Betriebe im Osten bei den BVVG-Flächen außen vor sind. Das ist eine unglaubliche Wettbewerbsverzerrung.“ Entstanden sei in diesem Zusammenhang ein „florierendes Netzwerk“, an das sich keine Partei herantraue.
„Nehmt und euch wird gegeben“
Ein Netzwerk? Der mecklenburgische Landwirt Jörg Gerke führt in seinem Buch „Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell“ dazu Näheres aus. „Das gesamte Konglomerat im Osten aus Agrarverwaltung, Agrarpolitik (in M-V das Backhaus-Ministerium – d. Red.), Agrarberichterstattung und der Agrarlobby in Form der Landesbauernverbände bildet eine Art Netzwerk, ein Kartell.“
Im Osten der BRD sind die Landesbauernverbände quasi Nachfolger der DDR-Organisation „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“. Die VdgB war das Werkzeug der SED für die Zwangskollektivierung von hunderttausenden Bauern in der sowjetisch besetzten Zone.
Abwanderung aus dem ländlichen Raum
Mit Unterstützung des Agrar-Kartells bekommen die großen (LPG-)Kaderbetriebe den überwiegenden Teil der BVVG-Flächen in die Hände gespielt. Der Kaufpreis bewegte sich in einer Spanne von lediglich 1.500 bis 3.500 Euro je Hektar. Mittlerweile sind die Marktpreise für arrondierte Ackerflächen auf über 20.000 Euro/Hektar geklettert …
Jörg Gerke weist anhand konkreter Beispiele in seinem Buch nach, wie stark bäuerliche Familienbetriebe aufgrund der Bodenvergabe-Praxis der BVVG daran gehindert wurden, Flächen hinzuzukaufen. „In der Konsequenz dieser Subventionen für wenige wandern viele Menschen aus den ländlichen Regionen ab. Das Land wird entvölkert und verödet.“
Kartell = Bremsklotz für Familienbetriebe
Weiter heißt es bei Gerke: „Dieses Kartell hat es auch geschafft, daß mehr als 700.000 nach der Wende aus den LPG-Betrieben ausgeschiedenen ehemaligen Mitgliedern Zahlungen in einer Größenordnung von 10 bis 15 Milliarden EUR vorenthalten wurden, obwohl diese Zahlungen eigentlich gesetzlich vorgeschrieben waren.“ Nutznießer auch hier: LPG-Nachfolger und natürlich das LPG-Führungspersonal.
Währenddessen ist das Dasein sehr vieler bäuerlicher Unternehmen in den so genannten neuen Ländern als eher kümmerlich zu bezeichnen. Laut Gerke sind etwa 50 Prozent von ihnen Nebenerwerbsbetriebe, die „vor allem aufgrund des teilweisen staatlichen Quasi-Monopols bei der Verteilung landwirtschaftlicher Flächen keine weiteren Flächen über ihre 15, 20, 30 oder 40 ha hinaus zur Pacht erhalten.“
Nach allen bislang gemachten Erfahrungen wird das Kartell weiter alles daransetzen, die übriggebliebenen 400.000 Hektar BVVG-Flächen zu verbilligten Preisen den Altkadern zuzuschanzen. Wie erklärte die Landesregierung M-V doch so schön: „Bei der Wahl der Betriebsform handelt es sich um eine persönliche Entscheidung der Betriebsinhaberin beziehungsweise des Betriebsinhabers …“