Im Blickpunkt: "Hoher Motivationsschub"

Ist es die Ruhe vor dem Sturm? Seitdem in Berlin eine große Koalition regiert, kräuseln sich auf der politischen Debatte nur noch wenig Wellen. Der "Spiegel" erblickt in der Popularität der neuen Kanzlerin irrationale Züge: "Denn Merkel leitet ein Kabinett, dessen Reform-Elan sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit darin erschöpft, den Bürgern so ungeniert in die Taschen zu greifen wie keine Regierung zuvor." Irgendwann werden die Deutschen den kostspieligen Schwindel bemerken - das jedenfalls ist die Hoffnung rechter Parteien, die von der großen Koalition bislang noch nicht zu profitieren vermochten. Unser aktueller Überblick:

Deutschland: Fast 3000 meist junge Patrioten trafen sich zu einer NPD-Maikundgebung in Rostock. Die Partei sieht Chancen, bei der Wahl am 17. September in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzuziehen. Spitzenkandidat Udo Pastörs spricht von "sieben Prozent plus x". Offenbar handelt es sich nicht nur um Zweckoptimismus in eigener Sache. Im linken Berliner "Tagesspiegel" ist zu lesen: "Die Sorge, der NPD könnte wie in Sachsen der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde gelingen, ist groß." So groß, daß CDU und PDS einen gemeinsamen Aufruf gegen die Rostocker NPD-Kundgebung unterzeichneten: Christdemokraten und Kommunisten Hand in Hand.

Ungewöhnlich auch, daß sich der "Verfassungsschutz" in Wahlprognosen übt. In seinem jetzt vorgelegten Jahresbericht 2005 heißt es, für einen NPD-Erfolg in Mecklenburg-Vorpommern sprächen mehrere Aspekte, darunter ein "hoher Motivationsschub" durch örtlich zweistellige Ergebnisse bei der letzten Bundestagswahl. Es scheine "eine Einflußnahme auf Teile der Bevölkerung gelungen zu sein", so daß "sich eine Stammwählerschaft herausgebildet hat, die auch ideologisch mit der NPD übereinstimmt".

Entsprechend hoch ist die Repression durch die etablierten Parteien. Landesinnenminister Gottfried Timm (SPD) will NPD-Kandidaten beruflich vernichten: "Dort, wo Rechtsextreme in Betrieben in Erscheinung treten, muß man sich von ihnen trennen", forderte er jüngst in einem "Welt"-Interview. "Das hat meine volle Unterstützung." Daß die SPD zur gleichen Zeit die Behinderung der Opposition in Weißrußland beklagte, läßt einmal mehr erkennen, welches Maß an Unwahrhaftigkeit die deutsche Politik mittlerweile beherrscht. Unter solchen Umständen erweist sich die Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern fast als Segen: Wer keinen Job mehr zu verlieren hat, genießt wenigstens Freiheit vor politisch motivierter Entlassung.

An der Rostocker NPD-Kundgebung nahm auch der bisherige WASG-Bundesvorständler Andreas Wagner (46) teil. Er hatte sich zuvor der sächsischen NPD-Landtagsfraktion als sozialpolitischer Berater zur Verfügung gestellt. Von Journalisten unsinnigerweise nach Hitler gefragt, antwortete Wagner: "Soweit ich weiß, ist der 1945 gestorben." Bei den Nationaldemokraten werde über Gegenwartsfragen diskutiert, zum Beispiel über den Sozialabbau, der gerade auch in Bundesländern stattfinde, wo die PDS/Linkspartei mitregiere.

Ebenfalls am 17. September wird in Berlin das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Dabei machen sich rechte Gruppierungen wieder einmal Konkurrenz. Für die NPD tritt Parteichef Udo Voigt als Spitzenkandidat an, für die Republikaner deren stellvertretender Bundesvorsitzender Dr. Björn Clemens. Auf der nationaldemokratischen Liste befinden sich auch DVU-Kandidaten - infolge des Deutschland-Paktes, den beide Parteien zur Kräftekonzentration geschlossen haben. Dieses Bündnis, dem sich die REP-Führung verweigert, gilt ebenso für Mecklenburg-Vorpommern.

Bei der Bundestagswahl im September 2005 hatten die Nationaldemokraten in Berlin 1,6 Prozent erhalten, die Republikaner 0,5 Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die NPD 3,5 Prozent (dort gab es keine REP-Kandidatur).

Um die rechten Wahlchancen zu minimieren, wurde im sächsischen Landtag im Mai wieder einmal ein "Skandal" inszeniert. Der NPD-Abgeordnete Uwe Leichsenring hatte in einer Rede kritisiert, daß die Tatverdächtigen im Fall des zu Ostern in Potsdam verletzten Deutsch-Äthiopiers "mit dem Hubschrauber in Guantanamo-light-Version nach Karlsruhe" zum Bundesgerichtshof geflogen worden seien. Wollte man linksextreme Gewalttäter ebenso abführen, müßte man nach Ausschreitungen bei Demonstrationen "Sonderzüge einsetzen". Diese Formulierung legte man dem NPD-Parlamentarier so aus, als habe er die Wiedereinführung von Bahntransporten verlangt, mit denen im Dritten Reich Juden gen Osten deportiert wurden. Eine infame Unterstellung, von den Medien aber bundesweit verbreitet.
hg/de


Quelle: Nation & Europa, Augabe 06/2006
zurück | drucken Erstellt am Montag, 03. Juli 2006