In wenigen Monaten ist „Polen offen“

Für den deutschen Mittelstand und für deutsche Arbeitnehmer beginnt in wenigen Monaten ein knallharter Wettbewerb um die geringsten Löhne und billigsten Waren oder Dienstleistungen. Denn der 30. April 2011 wird der letzte Tag sein, an dem Beschränkungen zur sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige der „EU-8“ existieren werden. Bei diesen „EU-8“ handelt es sich um jene acht mittel- und osteuropäischen Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetretenen sind. So ist es beispielsweise Polen noch nicht möglich, in der BRD eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen, eine Dienstleistung zu erbringen oder sich selbstständig zu machen. 
 
Laut einer aktuellen Umfrage der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ warten bereits jetzt über eine halbe Million Polen in den Startlöchern, die beabsichtige, ab dem 1. Mai gen Westen aufzubrechen und sich in der BRD auf Arbeitssuche zu begeben. Hier werden sie wohl von großen Unternehmen mit offenen Armen empfangen werden.
 
Rücksichtsloser Verdrängungswettbewerb trifft zuerst die Leiharbeiter
 
Nicht umsonst frohlockt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), daß polnische Leih- und Zeitarbeitfirmen Tarifverträge für die Zeit nach dem 1 Mai 2011 vorbereiten lassen, die polnischen Arbeitsnomaden einen Stundenlohn von 4,80 Euro zusichern. Angesichts dessen scheint für die etwa 11.000 in Mecklenburg-Vorpommern zählenden Leiharbeiter bereits jetzt der Kampf um Arbeit verloren zu sein. Deren Hungerlöhne werden keinen Bestand haben, wenn sich ein Herr von Lohnsklaven aus Polen mit weitaus geringeren Vergütungen zufrieden geben wird.
 
In seiner endgültigen Konsequenz bedeutet die Umsetzung der EU-weiten Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur eine Verschärfung der Konkurrenzsituation, sondern auch eine Dynamisierung der Billiglöhne. Gerade jene, die in unmittelbarer Nähe zu Hinterpommern leben, wird es am ehesten und härtesten treffen.
 
Mecklenburg und Pommern als Einzugsgebiet polnischer Arbeitsnomaden
 
Für unser Land wird die totale Arbeitnehmerfreizügigkeit fatale Auswirkungen haben. Obwohl die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit nächstes Jahr beginnt, sind die Auswirkungen eines offenen EU-Arbeitsmarktes in den grenznahen Landkreisen schon heute wahrnehmbar. Dort ist bereits jetzt das Lohngefälle in einigen Branchen zwischen deutschen Arbeitern und Polen verschwindend gering. Lag landesweit im Jahr 2008 der durchschnittliche Bruttostundenverdienst im Gastgewerbe bei 8,45 Euro und im Produzierenden Gewerbe und Dienstleistungen bei 13,93 Euro, so werden im kommenden Jahr diese weitaus unter Bundesdurchschnitt fallenden Stundenlöhne kaum aufrecht erhalten werden können.
 
Wem nützt also die Arbeitnehmerfreizügigkeit? Allenfalls den heimischen Großunternehmern! Denn erst die schrankenlose und deregulierte Arbeitnehmerfreizügigkeit erleichtert die Heranschaffung von Arbeitskräften aus allen Herren Ländern. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit schafft günstige Rahmenbedingungen für Lohndrückerei. Und mehr noch: Es schafft entwurzelte Arbeitsnomaden und degradiert Menschen zu verschiebbarem Humankapital.
zurück | drucken Erstellt am Montag, 15. November 2010