Renaturierung: Oftmals Zerstörung von Kulturlandschaft

Einst gab es bis zu 300.000 Hektar Moore auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Hiervon wurden in den vergangenen Jahrhunderten große Teile urbar gemacht, um den Lebensraum für den Menschen und sein Nutzvieh zu erweitern. Über Generationen hinweg wurde in schwerer Handarbeit der Wildnis ein Stück Landwirtschaftsfläche abgerungen. Nun werden die Menschen vielerorts aus diesen Gebieten verdrängt. Das Ganze verkauft man unter dem positiv klingenden Begriff „Renaturierung“.
 
Hierbei sind die umstrittenen Renaturierungsmaßnahmen im „Martenschem Bruch“ im Uecker-Randow-Landkreis und der bereits zu Teilen vollzogene Deichrückbau im Usedomer Inselnorden zu nennen, die gegen einen starken öffentlichen Protest von verunsicherten Bürgern vor Ort regelrecht von den politisch Herrschenden durchgedrückt werden sollen. Im letzteren Fall scheinen die Herrschenden damit Erfolg zu haben, den seit geraumer Zeit organisierten Unmut vieler Anwohner des Cämmerer Sees einfach auszusitzen und über 6.500 Unterschriften und kommunale Beschlüsse zu ignorieren. Es scheint, als finden auch die Sorgen von 13 Gemeinden im und am „Martenschen Bruch“ keinen Widerhall in der etablierten Landespolitik.
 
Deichrückbau und Grundwasserpegelanstieg bedrohen Anwohner
 
Während in der Umgebung des Cämmerer Sees die Deichanlagen methodisch und systematisch geschlitzt und weite Teile der Kulturlandschaft geflutet werden, soll ein 330 Hektar großes Wald- und Wiesenareal bei Hintersee, Gegensee und Ahlbeck (Uecker-Randow-Landkreis) als Ausgleichsfläche für die Eingriffe in die Natur in Folge der OPAL - der Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung - geschaffen werden. Dort betrifft es ein Gebiet, welches vor 250 Jahren trocken gelegt, kultiviert und landwirtschaftlich ununterbrochen genutzt worden ist.
 
Wie am Cämmerer See befürchten Anwohner als Folge der „Wieder-Vernässung“ unkontrollierte Grundwasserverhältnisse. Die Sorgen sind berechtigt: Eine Vermoorung kann – wie am Faulsee bei Anklam und anderen Gammelwiesen im Peenetal zu sehen ist – auch negative Folgen haben. Hinzu kommen Spekulationen, daß beim Martenschen Bruch erst von einer biotopischen Aufwertung nach 25 Jahren ausgegangen werden kann.  
 
Kauf riesiger Renaturierungsflächen
 
Bis 2020 will die SPD-CDU-Landesregierung landesweit 75.000 Hektar Kulturlandschaft wiedervernässen. Dann scheint ein Prozeß abgeschlossen zu sein, der bereits seit Jahren in vollem Gange ist. In Vorpommern beispielsweise gehen die Pläne zur „Wiedervernässung“ weiter Gebiete entlang der Peene bis Anfang der neunziger Jahre zurück. Damals ging es um die künftige Nutzung einstiger Moorflächen, weshalb das Bundesumweltministerium 1992 veranlaßte, das Land Mecklenburg-Vorpommern und einen kommunalen Zweckverband mit der Ausgestaltung einer naturschutzrechtlichen „Flußlandschaft Peenetal“ zu beauftragen. Bis in dieses Jahr wurden hierfür insgesamt 31,3 Millionen Euro verwendet. Im Vordergrund stand damals ein Naturschutzprojekt, welches die einzigartige Flora und Fauna am „Amazonas des Nordens“ erhalten sollte. U.a. wurden aber auch gezielt landwirtschaftliche Flächen aufgekauft, um ein zusammenhängendes Gebiet vom Malchiner See bis zur Mündung der Peene in den Stettiner Bodden herzustellen. Für rund 5.350 Hektar Ackerfläche wurden über 8 Millionen Euro verwandt. Darüber hinaus erhielten Bauern und Landwirte bis zu 9,5 Millionen Euro Ausgleichszahlungen, um sich zu verpflichten, auf weiteren nahezu 2.200 Hektar Agrarfläche eine streng regulierte landwirtschaftliche Nutzung zu betreiben.
 
Eine weitere Zielstellung des Naturschutzprojekts kristallisierte sich erst im Verlauf der Ankaufoffensive heraus: Mit dem Erwerb der Flächen sollte nicht nur ein rechtlicher Schutz geschaffen werden, sondern auch ehemalige Torfwiesen und Moore wiedervernäßt werden. Statt eine vorgefundene Naturlandschaft zu erhalten, griff abermals der Mensch ein, um mit Renaturierungsmaßnahmen eine gänzliche andere Umwelt zu schaffen.
 
Protest gegen Renaturierung im Peenetal
 
Ab 2011 soll das Gebiet als Naturpark ausgewiesen werden. Doch hiergegen wächst unter den Anwohnern (leider) verspäteter Widerstand. Ende August dieses Jahres formierten sich beispielsweise in Aalbude im Landkreis Demmin Renaturierungsgegner, die bei einer Vorortbesichtigung von Naturschützern gegen die Zerstörung ihrer gewohnten Umgebung klagten. In der Tagespresse war zu lesen: „Wir wohnen hier und unser Umfeld hat sich total verändert!“ und “Über 1.000 Hektar können wir nicht mehr betreten!“
 
Flutungskritiker versammelten sich auch an anderen Punkten des Peenetals und machten ihren Unmut lautstark Luft. Angesichts der Unpassierbarkeit riesiger Areale allzu verständlich. Anderenorts verläuft eine andere Art der Renaturierung jedoch geräuschlos: Im Nordwesten der Hansestadt Demmin wurde jüngst der letzte landwirtschaftliche Polder – die sogenannten Aasewiesen – aufgegeben. Bei der 52 Hektar großen Fläche hätte die Deichanlage erneuert werden müssen. Die Kosten hierfür in Höhe von cirka 190.000 Euro liegen bei dem notorisch klammen Landkreis. Fördermittel zur Deicherneuerung gibt es nicht mehr. Diese können nur für Renaturierungsmaßnahmen beantragt werden…
zurück | drucken Erstellt am Mittwoch, 27. Oktober 2010