Auf Arbeitssuche in Ostvorpommern

Ich bin ein 32 Jahre alter Familienvater aus einem kleinen beschaulichen Dorf im Landkreis Ostvorpommern und möchte mit diesem Artikel mal die Umstände der hiesigen Arbeitssuche bzw. das Familienleben einer ganz normalen vierköpfigen pommerschen Familie schildern. Allen voran möchte ich gleich anfügen, daß es mir sehr wohl bewußt ist, daß meine Erlebnisse im Zusammenhang mit einer sehr schlechten Arbeits- und Familienpolitik stehen, dessen Ergebnisse auf vielen Familien bei uns im Land tagein tagaus lastet.
 
Im Jahr 2006 wurde ich das erste Mal in meinen Leben arbeitslos, nachdem ein ausländischer Großkonzern meine Arbeitsstätte aufkaufte. Selbstverständlich versuchte der neue  „Dienstherr“ das Unternehmen „flexibel“ und „schlank“ zu machen, weshalb er gleich den Rotstift bei den Beschäftigten ansetze und Arbeitsplätze weg strich. Und dies, obwohl dem Bundesbürger regelrecht über die Jahre eingetrichtert worden ist, daß EU und Globalisierung doch Arbeitsplätze „dank“ großzügiger Auslandsinvestoren bringen würden. 
 
Genötigt zum Auswandern?
 
Da unsere Familie in unserer Region zu Hause ist und schon viele Generationen meiner Frau und von mir hier beheimatet waren, kam es mir nie in den Sinn, meine Heimat zu verlassen und in der Ferne auf Arbeitssuche zu gehen. Des weiteren ging es auch nicht so einfach, da meine Frau eine feste Arbeit im Schichtsystem vor Ort hatte und unsere vier Jahre junge Tochter Betreuung brauchte. Die Arbeit meiner Frau ist auch so angelegt, wie es in Ostvorpommern allgemein üblich ist: unregelmäßiger Dienstverlauf mit verschiedenen Schichten innerhalb einer Woche. Deshalb ist es natürlich sehr schwer mit einem Partner (der nur die Möglichkeit besitzt, außerhalb Lohn und Brot zu finden) Kinder, Auskommen, Familienleben und Alltag unter einem Hut zu bekommen.
 
Nichtsdestotrotz entschlossen meine Frau und ich uns für weiteren Familienzuwachs – in der BRD GmbH und entgegen der schlechten Ausgangslage ein Schritt, welcher viele junge Familien eigentlich abschrecken müßte. 2008 kam unser Sohn zu Welt. Ich war nach unzähligen Bewerbungen und Mini-„Jobs“ immer noch arbeitslos und kam ins Hartz-IV. Was das für eine Familie bedeutet, brauche ich hier nicht zu schildern…
 
Mit mir nicht! – Vom Kampf um Arbeit
 
Da ich in meinen erlernten Beruf keine Anstellung in unserer Region fand, wollte ich 2008 umschulen. Ich hatte mich für den Metall- und Schiffsbau entschieden - dieser Berufszweig galt zu damaliger Zeit als sehr sicher und den Verhältnissen entsprechend überdurchschnittlich bezahlt. Ich hatte Vieles in Kauf genommen, um eine Beschäftigung zu bekommen, z.B. machte ich ein drei Monate dauerndes Praktikum auf einer bekannten Werft, wo ich mit 100-prozentiger Arbeitsleistung und Drei-Schichtsystem umsonst gearbeitet habe. Es gab nur das Fahrgeld vom Amt, keine Nachtschicht- und Sonntagszulage.
 
Anfang 2010 war ich nun fertig mit meiner Umschulung. Doch zwischenzeitlich brach die maritime Wirtschaft mitsamt dem Metallbau in Deutschland dank der internationalen Finanzspekulanten komplett ein. Ich stand  wieder ohne etwas da! Ich hatte extra einen neuen Beruf erlernt, um in meiner Heimat in der letzten verbliebenen Industrie zu arbeiten. Aber jetzt stehe ich wieder vor den gleichen Problemen.
 
Arbeit um (für) jeden Preis
 
Meine Frau hat nach wie vor ihre Arbeit im Schichtsystem und wir haben zwei Kinder (2 und 8 Jahre), für die einer tagsüber da sein muß, wenn meine Frau bis spät abends 21 Uhr arbeitet. Fast jeden Tag bin ich auf der Suche nach Arbeit in der Region - ich bin auch davon ab, daß ich nur „Jobs“ suche, die ich erlernt habe. Ich gucke mich nach allem um, wofür ich in Frage kommen könnte. Hauptsache ich bekomme mit einem menschenwürdigen Einkommen meine Familie ernährt und bin vor Ort.
 
Ende Juni dieses Jahres sah ich eine Anzeige auf der Weltnetzseite der Bundesagentur für Arbeit, die mich sehr interessierte. Es handelte sich um eine Anstellung als Kraftfahrer/ Paketzusteller innerhalb meiner Region. Voller Euphorie klickte ich diese Anzeige an und las sie mir gründlich durch. Doch ich kam noch nicht mal bis zur Mitte des Textes und dachte bloß: „ Das schlägt dem Faß ja den Boden aus, wie kann das Arbeitsamt bloß solch` eine Anzeige auf ihrer Netzseite frei schalten! Frechheit, dies Arbeitssuchenden als Arbeitsstelle anzubieten!“



Bildschirmfoto der besagten Stellenanzeige von der Netzseite der Arbeitsagentur

 
Der beste Arbeiter ist heimatlos, identitätslos und still
 
Es ist in Deutschland und besonders bei uns in der Region nahezu unmöglich geworden, eine Arbeit zu bekommen, die mit Kindern und Familie vereinbar ist. Denn wenn man sie bekommt, dann nur für sehr, sehr schlechte Bezahlung, wofür die Familie als Gemeinschaft anderswo zurück stecken muß. Familien werden zerrissen bzw. gehen kaputt, weil die Männer keine örtliche Arbeit finden und die Frauen zu Hause allein mit den ganzen Sorgen und Nöten sitzen bleiben, die der Alltag so mit sich bringt. In den meisten Fällen können in Ostvorpommern Mütter auch gar nicht arbeiten gehen, da die meisten Stellen nur in der Gastronomie, im Hotelwesen, in der Reinigung oder im Verkauf angesiedelt sind. Diese Branchen beinhalten zu 95 Prozent Schichtarbeit und sind unterbezahlt.
 
Das für unsere Kleinen beste Prinzip ist es doch, die Erziehung selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu. Aber wie soll eine Mutter das alleine bewältigen, wenn ihr Mann außerhalb in  den Niederlanden oder in der Schweiz weit weg arbeiten geht und die Kinder in den Kindergarten gehen oder schulpflichtig sind? Manch eine Familie hat Glück: da sind die Großeltern da, aber was ist mit denen wo die Großeltern nicht können oder einfach nicht da sind?
 
Wem nutzt der gefügige Arbeiter?
 
Ostvorpommern „bietet“ die besten Vorraussetzungen für Ausbeuter, die die Lohnschraube so richtig ansetzen und minderbezahlte Arbeit ruchlos an die Leute bringen können, da ja „genügend für die Arbeit Schlange stehen“. Wem nutzt dies – den globalisierten Unternehmer mal ausgeklammert? Ähnlich wie bei der Partei Die LINKE gäbe es die Gewerkschaften erst gar nicht, wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer als Betriebsgemeinschaft in einem Boot säße. Doch wie wirklich wichtig es den Nutznießern von Armut und Elend mit ihrer Klientel war, beweisen die reißerischen Ankündigungen zur sozialen Besserung und die darauffolgende Tatenlosigkeit.
 
In zwanzig Jahren ist es Linkspartei und den Gewerkschaften nicht einmal ansatzweise in den Sinn gekommen, gegenüber dem System der Turbo-Globalisierung und der plutokratischen Selbstherrlichkeit gekaufter Altpolitiker auf kritische Distanz zu gehen. Allgemein doktert man an Krankheiten herum, indem man politische Entscheidungen wie beispielsweise die Arbeitsmarktöffnung nach Osten oder die EU-Fremdbestimmung mit all ihre volkswirtschaftsschädigenden EG-Richtlinien wachsweich begrüßt oder bedauert. Dabei erleichtert doch erst die Gesetze des EU-Marktes die Heranschaffung von Arbeitskräften aus allen Herren Ländern als günstige Rahmenbedingung für Lohndrückerei.

Und mehr noch: Es schafft entwurzelte Arbeitsnomaden und degradiert Menschen zu verschiebbarem Humankapital. Aber von einer Kehrtwende bei den Internationalisten weg und raus aus dem europäischen Unionskonstrukt fehlt jede Spur. Sonst würden nämlich die ausgebeuteten Familienväter - wie ich einer bin -, deren Protest doch gebraucht wird und dank ihnen doch jedem Gewerkschafts-Boss und jedem Linkspartei-Politiker ein sattes Gehalt je Monatsende winkt, einfach davon laufen…
zurück | drucken Erstellt am Mittwoch, 07. Juli 2010