WASGeht Links?

I. Alte Genossen im neuen Gewand

"Wir fang noch mal von vorne an", läßt Otto Reuter in einem seiner Lieder in den zwanziger Jahren einen verarmten Prinzen sagen "Und gibts noch mal ne neue Wahl - dann wähln wir links, det is uns janz ejal ...".

"Das Herz schlägt links!" betont Oskar Lafontaine; die Galle sitzt jedoch rechts - gerade bei Lafontaine. Wenn des Saarländers Herz ob der vielen Arbeitslosen in West- und Mitteldeutschland in Wallung gerät, beim Andenken an den Kanzler zersetzt die Bitternis alle Herzlichkeit. Vor sieben Jahren wollten SPD-Triumvirat Schröder, Lafontaine und Scharping, nicht alles anders, so doch vieles besser machen - als die Kohl-CDU. Die Arbeitslosigkeit sollte mindestens halbiert und umgekehrt die Beliebtheit der Partei verdoppelt werden. Zunächst war alles nach dem Geschmack der Wähler: Börsenaufschwung, Rentenreformkippe, Joseph-Fischer-Doktrin - selbst der Anzug des Kanzler: reinster Kaschmir. "Kaschmirkanzler" mokierte damals der als Gourmet bekannte Lafontaine und hätte Gerd Schröder am liebsten die Egon-Olsen-Zigarre abgeluchst. Welch eine Parodie! Die Olsenbande - geht in die deutsche Politik.

Oskar Lafontaine kam die Rolle des Schatzmeisters zu. Und obwohl der deutsche Staat schon bei Helmut Kohl stark unter der Verschuldung litt, suchte Lafontaine dieses Übel dadurch aus der Welt zu schaffen, daß er nicht vorhandenes Geld - Schulden - um so mehr mit vollen Händen zum "Staats-Fenster" hinauswarf. Das Fatale gegenüber der echten Olsenbande: "Egon", alias Gerd Schröder, hatte keinen Plan. Genauer gesagt, er benahm sich so, als sei das Vorhaben, Deutschland zu reformieren, bereits umgesetzt. Und noch etwas stimmte nicht im Vergleich zu den Dänen: Oskar gönnte "Egon" nicht die Rolle des Banden-Chefs, benahm sich wie ein Schattenkanzler, intrigierte mal mit Scharping gegen Schröder mal mit Schröder gegen den Dritten. Statt in heiliger Eintracht das kranke Land zu heilen, stiftete die Bande nur Unheil, in dem Sie vor der Öffentlichkeit eine Gockelparade aufführte: Wer ist der Bunteste, wer kräht am lautesten, wer legt die dicksten Eier ... Welch wundersame Gockel! Irgendwann wurde es dem Boß zuviel und er ließ Oskar Kraft Richtlinienkompetenz und Kanzleramt die Flügel stutzen - natürlich nur inoffiziell, denn nach außen paßte zwischen die Männer bekanntlich kein Blatt Papier.

Der Napoleon von der Saar zeigte zunehmend empfindliche Schwächen: statt sich akribisch in Zahlen einzuarbeiten und durch Fleiß und Kenntnis als Diener seines Herrn zum Gelingen des Coups entscheidend beizutragen, spreizte sich Genosse Oskar wie ein Pfau und dozierte die große Politik: Fast so als beschriebe er die Ausmaße und Qualitäten eines Franz-Jäger-Berlin-Tresores, ohne die Kenntnis der Zahlenkombination, die ihn befähigte, diesen Schatz für Boß "Egon" zu heben. Schon damals war es ein offenes Geheimnis, daß Oskar Lafontaine eine Fehlbesetzung als Finanzminister sei. Wenn er schon über keine große Sachkenntnis verfügte, so wäre es an ihm gewesen, für eine sachliche Leitung des Ressorts zu sorgen. Fehlanzeige! Immer häufiger blamierte sich der "Linke" vor aller Augen linkisch im Fernsehen, verstrickte sich in Widersprüche. Klar - er hatte ja auch anderes zu tun: "Egon" dirigieren! Als der Glanz der ersten Tage verblaßte und die alltägliche Regierungsarbeit rauher wurde, wandelte sich auch die äußerlich vorgespielte Männerfreundschaft zusehends in eine Männerfeindschaft. Seine Eitelkeit hintan stellen? Das ist nicht Oskars Ding!

Wenn er schon nicht für grundlegende Reformen eintrat, die unser Land verjüngen, stärken und wieder selbstbewußt und mitmenschlich in die Zukunft schauen lassen sollten; dann hätte er wenigsten - auch als SPD-Vorsitzender - dafür kämpfen müssen, das Land vor der Globalisierung, dem Ausbluten durch unsägliche Zahlungen an Brüssel, der Bevormundung durch die Europa-Bürokratie und der weiteren Überfremdung zu bewahren. Hat Finanzminister Lafontaine jemals gegen den Euro protestiert, der uns kaputtmacht und von der Mehrheit unseres Volkes weitsichtig abgelehnt ward.

Oskar Lafontaine ein Visionär? Nehmen wir die Klein-Deutsche Einheit nach der Wende: ein Zaudern, Zagen und Zernagen - ob der dann auch eingetretenen Schwierigkeiten. Anstatt Helmut Kohl links zu überholen und unserem Vaterland auch die innere Einheit und Solidarität zu erringen, die wir mit aller Welt empfinden; bremsen wo es nur ging! Das Volk hat ihn nicht zum Kanzler bestimmt ... Und nun endlich an die Macht gekommen - nichts als plutokratische Weisheiten zur sich globalisierenden Ökonomie und Ränkespiele um das Kanzleramt. Als ein "Vini, vidi, vici - kam, sah und siegte" nicht mehr zu erhoffen war, entschwand der Bube vor der Welt!

Oskar Lafontaine ein Versager? Mitnichten, denn er hatte ja nichts schaffen wollen ... Oskar Lafontaine ein Verlierer? Keineswegs - er hatte ja nicht gekämpft! Aber: Oskar Lafontaine ein Verräter! Denn er hat alle jene verraten, die ihn, in dem Glauben für ihre Sache einzutreten, gewählt und das Vertrauen ausgesprochen hatten. "Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten!" lautet eine alte Weisheit unseres Volkes. Nun wie singt Otto Reuter: "Wir fang noch mal von vorne an ..." Gott sei uns gnädig!

Soweit der Westen - auch im Osten: Nichts Neues! Der mit dem Charme einer Honigbiene ausgestatte Gregor Gysi sorgt sich um die Sozialdemokratie: diese seien nicht mehr sozialdemokratisch ... Als ob Sozialisten je sozialistisch oder Kommunisten je kommunistisch ihr begonnenes Werk beendet hätten? Dann gäbe es die DDR noch! Der real existierende Kommunismus der Sowjetunion hatte dem deutschen Volke die Ostgebiete geraubt - schlecht für die Linken! Der junge Arbeiter- und Bauernstaat war von vornherein ein amputiertes Land: ohne Kornkammer, ohne Kohle, ohne schlesisches Ruhrgebiet, ohne Hochseehäfen ... bis die Amputation einigermaßen verheilt war, war die ausgesaugte Industrie Mitteldeutschlands, die die Prothesen "Überseehafen", Eisenhüttenstadt und bäuerlichen LPG zu bezahlen hatte, derart in Rückstand geraten, daß kein "Überholen ohne Einzuholen" mehr möglich war. Das Volk hatte wiedereinmal den richtigen Riecher und kehrte in Scharen dem Staat den Rücken. Ulbricht log: "Niemand hat die Absicht ... " Wer blieb war der DDR - Der Dumme Rest! Denn erst nachdem die Mauer gebaut war, war man schlauer - und freier: Frei von Illusionen!

Statt tiefgreifend zu reformieren, einen nationalen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen, erließ die linke Diktatur den Schießbefehl, bedrohte den Prager Frühling, füllte die Stasi-Bataillone mit offiziellen und noch mehr inoffiziellen Mitarbeitern auf. Der Rechtsanwalt Gregor Gysi soll als "Notar" firmiert haben ... doch das ist lange her. Wen interessiert heute noch, außer Verfolgten und "Rechten", die Stasi? Wir haben unseren Sozialstaat gegen Harz IV und unsere Demokratie gegen die vermeintlich rechte Gefahr zu verteidigen!

Recht so: Wir wollen sehen, wie Gregor Gysi sich dafür einsetzte, als er mal nicht in einer Quassel-Runde seine Rhetorik glänzen ließ, sondern als Wirtschafts-Senator reale Macht ausübte. Zunächst fällt auf, daß er dies - wie Oskar L. - nur ein paar Monate tat. Wieso? Er hatte "irrtümlicherweise" Privilegien beansprucht, deren Existenz ihre Begünstigen wissen läßt: "Wir sind nicht das Volk!" Und da man nicht zum Volke gehört, gebraucht man nicht nur Privilegien, man mißbraucht sie auch ... natürlich ohne es ahnen! Das erfuhr der Jurist Gysi, sonst mit allen Wassern gewaschen, wie andere Privilegierte auch, erst durch die Öffentlichkeit. Immerhin trat er sofort zurück, erleichtert, die schwere Bürde los sein, wie Spötter behaupten. Gysi entgegnete: das Amt habe ihm Spaß gemacht. Er habe Berlin dienen wollen und gerade ein paar gute Sachen eingefädelt ... Man höre und staune! Früher hieß es bei den Sozialisten à la Marx: "Der Staat ist das Machtinstrument der ökonomisch herrschenden Klasse" - nämlich der Klasse der Bourgeoisie. Ein Linker mit Freuden am Ruder eines kapitalistischen Staates? Sollten die Kapitalisten ausgestorben sein und Franz Müntefering gegen Windmühlen statt gegen Raubtier-Kapitalisten kämpfen? Wo doch die PDS / DIE LINKSPARTEI Seite an Seite mit den Genossen der SPD in Berlin den Magistrat verantwortet? Oder hatten sich die linken Linken in Gestalt Gregor Gysis auf die rechte Seite, die "Seite des Klassenfeindes" geschlagen?

Betrachten wir die Sache näher. Das "Land" Berlin, die Hauptstadt, ist heute der am höchsten verschuldete Gliedstaat unseres Landes. Eine große Koalition aus CDU und SPD hatte die Stadt über viele Jahre so "erfolgreich" regiert, daß eine unlös- und unhaltbare Situation entstanden war: der Bankrott stand vor der Tür. Die Spitze des Eisberges war dabei der ungeheure Skandal bei der Bankgesellschaft Berlin. Was war geschehen? Einflußreiche Politiker, Lobbyisten und Günstlinge des Systems sowie Wirtschaftsvertreter träumten nach der Wiedervereinigung Deutschlands, die zugleich eine Wiedervereinigung Berlins bedeutete, wie überall im Land von blühenden Landschaften. Geschickt ließen sie die Bankgesellschaft Berlin diverse Immobilienfonds auflegen, mit denen Wohnungs-Investitionen finanziert wurden, die hochprofitabel sein würden - wenn die Spekulation aufging. Natürlich wollte die Stadt-Oligarchie an diesem gewinnträchtigen Geschäft mitverdienen - jedoch ohne Risiko. Der Trick: den von den privilegierten Käufern erworbenen Fonds-Anteilen ward ein hohen Zins garantiert! Im Klartext: selbst wenn der Fonds sich verspekulieren würde - die Anleger wären nicht nur ihres Einlage-Kapitals sicher - sie "profitierten" auch in jedem Falle. Dabei ging es nicht nur um ein oder zwei Prozent Gewinn, wie auf deutschen Sparbüchern ... Was aber hat das mit Berlin zu tun? Ganz einfach: Der Fond haftet für die Einlagen und Gewinnaussichten der Anteilseigner. Ist er insolvent - haftet die Bankgesellschaft Berlin für den Fond. Ist diese Pleite - haftet das Land Berlin für die Bank. Ist diese außer Stande, die Probleme aus der Porto-Kasse zu begleichen - hat das der Bürger auszubaden! Und weil die Vorsehung die Landschaften nicht erblühen lassen wollte, trat das soziale Netz für Bonzen und Bürokraten in Wirkung - der Skandal war perfekt.

Die SPD rettete sich vom sinkenden Staats-Schiff in die Arme der PDS. Gregor Gysi wurde Wirtschafts-Senator. Ist Gregor Gysi in erster Amtshandlung gegen das raffende Kapital vorgegangen? Hat er die Kette dieser Haftungen zu zerschlagen? Sollte dies außerhalb seiner Kompetenz als Wirtschafts-Senator liegen? Ist er dann zumindest öffentlich für eine Abwicklung der maroden Bank eingetreten? Hat er diese Abwicklung mit aller entschiedenen Schärfe und gewandten Rhetorik vertreten, wie sie dem Sozialisten eigen sind und die er doch immer für die soziale Gerechtigkeit selbstlos eingesetzt sehen will? Hat er eine Untersuchungskommission mit dem Ziel einer Bestrafung der Verbrecher eingesetzt? In der Öffentlichkeit ist nichts dergleichen in Erinnerung geblieben!

Gregor Gysi hat lieber mit den Bossen gekungelt, um sie für die "Standort Berlin" zu gewinnen - da wäre eine abgewickelte Bank kein Magnet gewesen, denn sie hätte signalisiert, daß die öffentliche Hand nicht das bloße Instrument der herrschenden ökonomischen Klasse ist. Der Jurist hat zugleich all jenen eine Steilvorlage geliefert, die einer Verschwörungstheorie auserwählter Plutokraten anhängen: er ist Jude! Gregor Gysi hat die PDS mit seinem Handeln nicht nur 1990 vor dem Untergang bewahrt - er hat sie als Wirtschafts-Senator endgültig in das Lager der Etablierten geführt! Die PDS und damit auch Die LINKSPARTEI sind Träger des Systems - und nicht deren Alternative! Das beweist auch die Zeit nach Gysi: die finanziellen Mittel für Kultur, Kindergärten, deutsche Familien, Sozialtickets für Arbeitslose und Rentner wurden gekürzt oder können nicht erhöht werden, um die höheren Belastungen auszugleichen. Statt dessen pumpt man Geld in eine marode Bank, die dieses Geld an die Reichen verteilt - das ist soziale Gerechtigkeit à la PDS: Links um und ab in die Privilegien ...

"Wir fang noch mal von vorne an ..." - die meisten WASG-, PDS- und DIE LINKSPARTEI-Funktionäre sind altgediente Kader aus West- und Mitteldeutschland, die sich in einem neuen Flusse baden wollen, nachdem der alte versiegt ist.


Und die Moral von der Geschicht?

Seid dem das Deutsche Reich besteht - wird jede Schraube rechts gedreht. - Und wenn das Land zum Teufel geht, dann heißts, das sie nach links verdreht.

Ferdinand Raimund (jr.)
zurück | drucken Erstellt am Mittwoch, 20. Juli 2005