Vor-Ort-Bericht: Bush in Heiligendamm

Heiligendamm - erstes Seebad Deutschlands (mit Österreich) – im Jahre 1793 durch den Badegast und Förderer Großherzog von Mecklenburg Friedrich Franz I. aus der Taufe gehoben. Hier sollen der Präsident der USA – Georg W. Bush – und Mitglieder seiner Regierung logieren. Doch statt erst zum G-8-Gipfel 2007 zu erscheinen, für den die auf 120 Millionen Euro (245 Millionen DM) geschätzten Infrastruktur-Investitionen verbaut sind, kommt der "Präsident von Amerika", heimlicher Herrscher Deutschlands und Sieger über Saddam-Irak schon ein Jahr früher in das "Alte Europa", um mit Angela Merkel die Verjüngung des Bündnisses zu feiern. Sollte man sich so etwas als Bürger Doberan-Heiligendamms entgehen lassen? Zumal vom geliebten Bürgmeister der Stadt Hartmut Polzin bundesweit im ARD-Frühstücksfernsehen erklärt wurde: "Trotz kleiner Einschränkungen durch die hohen Sicherheitsmaßnahmen freuen sich die meisten Bürger aus Bad Doberan und Heiligendamm auf den amerikanischen Präsidenten“. Wer wollte denn einem solchen Freudentaumel abseits stehen? Trotz der Perspektiven, die wenig Freude aufkommen lassen? Auch wenn er sich nicht zu den "meisten Bürgern“ zählen will?

Also auf’s Rad geschwungen und vorbei an den G8-Baustellen nach Norden an den heiligen Damm. Schon Kilometer vor dem Bad, entlang der längsten Lindenallee Deutschlands (die Ostmark eingerechnet), parken und biwaken Polizeieinzeiten. Gerade ist einem runden Leder ein zu starker Fußtritt versetzt worden – und so schießt der Ball über die Fahrbahn hinaus auf die andere Straßenseite, um im Graben zu verschwinden. Der „Dunkelgrüne“ eilt hinterdrein, muß in die Tiefe steigen und verbrennt sich im Nessel- und Diestelwirrwarr seine hochgekrämpelten Arme. Fluchend entsteigt er dem Gestrüpp, kehrt zu den anderen Polizeieinsatzkräften zurück, um die teuere Dienst-Freizeit-Beschäftigung fortzusetzen.

An dem nicht mehr ganz neuen Kreisel, der den Durchgangsverkehr vom Seebad fernhalten soll, haben sich weitere Polizeieinheiten postiert, kontrollieren sporadisch Fahrzeuge. Ungehindert kann ich weiterfahren, die alte Allee nach Heiligendamm hinein. Kurz hinter dem Ortseingang biege ich in den Waldweg ein, der zur Kirche führt ... doch plötzlich: Halt! Eine mobile „Mauer“ versperrt die Weiterfahrt! Hinter einem hüfthohen Metallgitter mit weiß-rotem Warnband liegt ein 1 Meter hoher rautenförmig geschlungener Stacheldraht, dahinter ein 2 Meter hoher Metallzaun mit grünem Tuch bespannt, um die Durchsicht zu verhindern. Überall am Boden verlaufen Elektrokabel, welche die Versorgung der umlaufenden "Festbeleuchtung“ gewährleisten sollen. Vor die Entscheidung gestellt, mich nach rechts oder links zu wenden, entscheide ich mich für letzteres, da dieser Weg auf die Straße führt. Seltsamerweise begegne ich auf den 300 Metern bis dorthin keiner Polizeistreife. Erst an der Straße treffe ich wieder schwer Bewaffnete an. MP im Anschlag, Wasserwerfer, nervöse Beamte, harmlos-neugierige Bürger. Das ganze Bild gleicht einer Theaterkulisse für einen Bürgerkrieg, auf dem die Hauptdarsteller noch nicht eingetroffen sind. Plötzlich spricht mich ein Offizier an: ich solle gefälligst aus dem verbotenen Bereich herauskommen. Erst jetzt gewahre ich vor mir das weiß-rote Warnband, das Personen hindern soll, in den Bereich zu gelangen, in dem ich mich befinde. Offenbar hat die Sicherheit an der Einfahrt des Waldweges vergessen, eine zusätzliche Sperre zu erreichten, so daß ich in eine "Falle“ gefahren bin. Um die hektischen Beamten nicht zu provozieren, folge ich schleunigst den Befehlen.

Die wenig einladende Atmosphäre veranlaßt mich die Einfallstraße aus Bad Doberan zu verlassen und den Weg zur Bahnstation einzuschlagen. Dort werkeln Männern in Arbeitsanzügen an einem blauen Anhänger herum: eine THW-Beleuchtungsstation. Als ich mich dem Gefährt nähere, startet gerade der schwere Diesel, dessen Geräuschpegel aber überraschend niedrig liegt. Klar, denke ich mir, für Goerg Bush wird man keine lauten Brummer einsetzen – es könnte sonst seinen leichten Präsidentenschlaf stören. "Erst Bank!“, höre ich den Mann an der Heckklappe. "Zweite Bank! Dritte Bank!“ Grell leuchten die Scheinwerfer in 10 Meter Hohe auf, wohin sie ein hydraulischer Edelstahlarm gehoben hat. Trotz einsetzender Dämmerung ist es jetzt wieder taghell! Hinter der Bahnstation stößt der Schienenstrang nach 150 Metern auf die Ausfallstraße nach Kühlungsborn. Ich lasse mein Rad stehen und gehe zu Fuß zur Straße.

Schon nach wenigen Schritten treffe ich auf ein Aufnahme-Team. Da der Bahndamm erhöht ist, kann die Kamera mit ausgefahrenem Stativ gerade über den Sperrzaun hinüberschauen und mit entsprechenden Objektiven detaillierte Blicke aus dem Inneren der Festung eräugen.
Neben dem Kamera-Mann macht sich ein Tonmeister an seinem Mikrophon zu schaffen. "Sie haben ja sogar ein Richtmikrophon dabei!“, spreche ich ihn an. "Was wollen Sie denn damit anfangen? Hier draußen wird es ihnen wenig nützen ...“ – "Wir machen Tonaufnahmen von Vögeln, um die Stimmung von Heiligendamm einzufangen,“ antwortet der Mann genervt. – "Nun gehen Sie bitte weiter. Sie sehen ja, das Gerät erfaßt alles und Sie verderben die Aufnahme ...!“ Kopfschüttelnd lassen ich die beiden skurrilen Typen stehen. Teleobjektiv und Vogelstimmen. Was für eine Berichterstattung!



Nur noch einen Steinwurf entfernt liegen der Bahnübergang, bei dem täglich die Dampfeisenbahn MOLLI die Ausfallstraße nach Kühlungsborn schneidet. Hier finden sich neugierige Passanten ein. Dreißig Meter hinter den Bahnschranken haben die Sicherheitsexperten Richtung Bad schweres Gerät postiert, so als gelte es mehrere Dutzend Kohorten Gewalttätiger aufzuhalten. Die Einfahrt ist beinahe einem Fort nachgestaltet – vielleicht um dem Texaner ein Gefühl von Wildem Westen zu geben? Ich vermisse allerdings ein großes Plakat mit der Überschrift "Wanted!“ und unter dem Abbild die Worte „Dead or Alive!“. In meiner Phantasie male ich mir aus, wie es sei, wenn das Konterfei von Georg selber auf dem Schild prankte und dazu der symbolische Preis von 1€. Das wäre doch mal eine Überraschung für den hartgesottenen Westmann ... Über dessen Gesichtsausdruck – in meiner Vorstellung – muß ich laut lachen. "Was finden sie denn hier so lustig?" fragt eine ältere Dame, die neben mir steht, auf der anderen Seite des Bahnsteig-Zaunes. – "Sie haben Recht, an diesen Umständen gibt es nichts zu lachen, wir haben hier schließlich mit einen Kriegsverbrecher zu Besuch, der Angriffskriege führt ...“ – "Wer Macht hat, der mißbraucht sie! Wir haben schließlich auch den letzten Krieg angefangen ... und dafür teuer bezahlt!“ – "Eigentlich bezahlen wir ja immer noch ...“, erwidere ich. "Und was das Anfangen des letzten Krieges betrifft: Könnte es nicht sein, daß der 2. Weltkrieg die Fortsetzung des 1. ist? Daß wir eigentlich von einem zweiten 30jährigen Krieg sprechen sollten? Schließlich war der Versailler Vertrag selbst nach Ansicht von Sozialdemokraten und Kommunisten alles andere als ein Friedensvertrag ...“ – "Es war aber ein Fehler, die Fehde wieder aufzunehmen“, beharrt die Frau auf ihrer Position. "Dafür haben wir gerechter Weise eins auf den Deckel bekommen!“ – "Wenn sie die Bombenangriffe auf Zivilstädte meinen, so weiß ich nicht, das daran gerecht sein soll, wenn in Dresden, Hamburg oder Pforzheim Millionen Frauen, Greise und Kinder umkamen ...“ – "Ich habe das selbst miterlebt – das war grauenvoll!" – "Was haben sie nur für trübsinnige Gedanken an einem solch schönen Sommerabend?“ fragt ein Unbeteiligter mit Berliner Akzent. "Das fragen sie noch?“ antworte ich spöttisch, "Bei diesem Krieger-Aufgebot muß man ja auf trübsinnigste Gedanken kommen, statt sich zu freuen!“ "Ja, recht martialisch hier“, bestätigt der Mann, "Als Bill Clinton vor ein paar Jahren nach Potsdam kam, ist er bis an die Absperrung herangetreten und hat den Menschen sogar die Hand geschüttelt. War das ein Jubel. – Aber bei diesem Präsidenten werden wir wohl nur einen Flugschweif sehen ...“

Im selben Moment setzt sich eine Gruppe von Polizisten in Bewegung und sperrt die Fahrbahn entgültig ab. "Bitte verlassen sie die Straße und halten sie beiderseits 50 Meter Abstand!“ – Die Reaktion der etwa 60 Bürger bleibt nicht aus: "Warum denn?“ – "Da sehen wir ja gar nichts?“ – "Hat der etwa Angst vor uns?“ – "Wir sind doch unbewaffnet!“, raunt es durch die kleine Menschenmenge, die sich nur mißmutig fügt. Wenig später öffnet sich das "Fort“ und ein halbes Dutzend US-Fahrzeuge verlassen die "Festung“ in Richtung Süden. "Das sind die gepanzerten Fahrzeuge, die den Präsidenten vom Flugplatz holen!“ ruft ein aufgeregter Zuschauer. "Dann müssen sie bald kommen ...“ – "Der Präsident ist gerade erst mit dem Hubschrauber von Laage abgeflogen“, verkündet ein Polizeioffizier, wohl um die Menge nicht ganz im Unwissen zu lassen ... – Ein uniformierter Bediensteter des Fundus-Hotels, der mir wenige Minuten zuvor aus dem Kordon kommend über den Weg gelaufen war, kehrt eiligen Schrittes zurück. Als er auf den Absperrung zugeht hindert ihn eine Polizistin am weiterkommen. "Was wollen Sie!“, ruft sie im barschen Ton. „"hre Personaldokumente bitte.“ – „Ich mache hier nur meinen Job“, ist die prompte, kalte Antwort. "Ich bin heute schon ein Dutzend mal hier rein und raus. Also kontrollieren Sie mich, ich habe es eilig.“ – Die Beamtin läßt sich nicht beirren. Über Funktelephon gibt sie die Daten des Mannes an ihre Zentrale durch und wartet drei, vier Minuten, bis sie die entsprechende Auskunft erhält, die den Weg frei macht.



Unter die Passanten hat sich ein Korrespondent des NDR gemischt. "Wenn Sie hier den Präsidenten interviewen wollen, haben sie schlechte Karten“, spricht eine Frau den etwa 30jährigen an. "Das habe ich gar nicht vor!“ erwidert er lachend. "Mein Auftrag lautet, hier die Bürger zu befragen.“ – "Sie sind sicher aus dem Studio Rostock?“ – "Nein, nein ich bin extra aus Greifswald angereist ...“ – "Da wundert es mich nicht, wenn die Rundfunkgebühren steigen“, bemerkt ein anderer schelmisch. – "Das ist ganz einfach zu erklären! Das Studio Fernseh-Studio Rostock wollte ursprünglich die Landung des Präsidenten in Heiligendamm filmen. Aber wir haben heute morgen eine Absage des Protokolls erhalten. Der Chef war stinksauer und hat getobt. Jetzt sind die Fernsehteams schon heute nach Stralsund beordert worden und so muß ich hier Dienst machen.“ – Am Himmel schwillt das knatternde Geräusch eines nahenden Hubschraubers. "Das wird er wohl sein?“, fragt jemand in der Runde. – "Nein, daß ist nur einer von der Luftaufklärung“, belehrt der Korrespondent. „Der Präsident kommt mit einem US-Hubschrauber.“ – "Den haben die doch wohl nicht extra eingeflogen?!“ wende ich ein. – "So ist es“, bestätigt der Korrespondent. "Auch die gepanzerten Fahrzeuge, die den Präsidenten vom Landeplatz abholen sollen, kommen aus den USA. Normalerweise fliegen sie mit der AIRE FORCE ONE.“ – "Mit dem Ding ist er in Laage gelandet“. – "Ja, der einzige Flugplatz der das gerade so zuläßt. Aber auch nur Starts und Landungen bei halbvollem Tank ...“ – „Da haben die Mecklenburger wohl an der Bahnlänge gespart?“ – "Normalerweise ist die ausreichend. Aber das Flugzeug, an dem Boing fast zwei Jahre gebaut hat, ist 1½ mal so schwer wie ein normale Maschine: die Fahrzeuge, die es aufnehmen kann und die raketengestützte Luftabwehr machen es zu einem fliegenden Panzer. Für Komfort ist da wenig Platz ...“

Der NDR-Mitarbeiter ist nicht mehr zu bremsen und bringt sein ganzes Wissen über die "Präsidentenflotte“ unter die Leute. Aber schließlich erinnert er sich seines Auftrages, schaltet sein Tonbandgerät ein und blickt in die Runde, wen er wohl als erstes befragen kann. Sein Blick fällt eigentümlicherweise auf mich und noch ehe mich recht besinnen kann, ist auch schon die große blaue Mikrophonkugel vor meinem Gesicht und mit geradezu servilem Ausdruck fragt er mich: "Was halten Sie davon, daß ihnen durch den Präsidentenbesuch der Weg versperrt wird?“ – „Ach wissen Sie, ich denke ich bin zu unwichtig, als man darüber lange reden müßte!“ Der NDR-Mann verdreht die Augen – weil die Antwort wohl nicht nach seinem Drehbuch ist, versucht es aber mit einer anderen Frage: "Freuen Sie sich das Georg Bush in Heiligendamm weilt?“ – "Wenn ich von geschätzten 20 Millionen Euro Kosten allein für die Polizeikräfte höre und daran denke, daß gleichzeitig die Unterkunftsgelder für Hartz-IV-Opfer im Landkreis Bad Doberan pro Monat um 50 Euro gekürzt wurden – dann kann ich mich nicht freuen! Denn wir sind ein Land das schon bald Bankrott machen wird ... . Aber im nächsten Jahr werden trotzdem 120 Millionen Euro für den G8-Gipfel verbraten – und die Kassen sind sooo leer!“ – Wenig begeistert zieht der Korrespondent sein Mikrophon zurück, um sich einen anderen Interviewpartner zu suchen: "Was halten Sie davon, daß ihnen durch den Präsidentenbesuch der Weg versperrt wird? ...“

Plötzlich mischt sich in das Brummen des einzelnen über uns schwebenden Hubschraubers das Knattern einer ganzen Schar von Flugmaschinen. Man kann sie nur schwer erkennen, da sie im Tiefflug zur Landung ansetzen und die Bäume am Bahndamm die Sicht nach Süden versperren. Minuten später kommt die Kolonne, die von Krad-Polizisten angeführt wird, herangerollt. Am ersten Fahrzeug, das eher einem gewöhnlichen schwarzen Personentransporter gleicht, ist am Kotflügel die Fahne der USA versehen: das Präsidentenfahrzeug! Es rast geradezu über die Eisenbahnschwellen in die Bade-Festung hinein, denn ich kann die zweite Flagge nicht erkennen. Was für ein Farce! Goerg W. Bush, der Präsident der USA, ist kein Gast – er ist ein Getriebener! Ein Regent, der sich nur hinter Stacheldraht und in Panzerfahrzeugen sicher fühlen kann. Ein Staatsmann, der kein Gespür entwickeln kann, für die wartenden Menschen und das Domizil, dem er sich nähert, in dem er nächtigen wird; weil er wie ein Verfolgter in der eigens für ihn hergerichteten Trutzburg Schutz suchen muß. Ein Politiker, der nur vor auserwähltem Publikum und einer inszenierten Kulisse seine Rolle als Führer der freien Welt spielen kann, ist ein solcher Mann noch frei? Plötzlich kommt mir der Gedanke: Nicht wir sind ausgesperrt, sondern Georg Bush ist eingesperrt, haust in einem goldenen Käfig! Ob sein Kampf gegen den Terrorismus nicht die Wahnvorstellung eines Gefangenen ist? Gefangen im Gespinst von Interessen einer globalen Oberschicht, die mit ihrer Sucht, als eine Art moderner Adelskaste die Welt zu beherrschen, uns alle in den Untergang treibt?

zurück | drucken Erstellt am Samstag, 22. Juli 2006