Abkassier-Exzesse in Brüssel

Selbstversorger nicht nur in Berlin

Im Bundestag herrscht in Sachen Diätenerhöhung stets rührselige Einigkeit über alle Koalitionsgrenzen hinweg. Leise und ohne große Debatten füllen sich die durch zwingende EU-Richtlinien sonst kaum noch entscheidungsbefugten Abgeordneten das eigene Säckel. Wer aber meint, nur im Bundestag herrsche die Selbstversorgermentalität, der wird Augen machen, wenn er sieht, was auf EU-Ebene abläuft. Das beschreibt der renommierte Staatsrechtler und EU-Kritiker Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim (Speyer) in seinem aktuellen Buch »Das Europa-Komplott«.

Von »legalisiertem Spesenbetrug« ist die Rede, von »grotesker Doppelversorgung« und »überzogenen finanziellen Privilegien«. Der Bürger hingegen soll den Gürtel immer enger schnallen: Rentenkürzungen, sinkende Einkommen und Mindestlöhne, die nicht für ein Leben ohne Hartz IV-Zuschüsse reichen und nicht zuletzt zahllose Abstriche in der Krankenversorgung.

»System finanzieller Exzesse«

Unter dieser Überschrift beschreibt von Arnim das Luxusleben der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Mit bis zu 20.000 Euro im Monat an Kostenerstattungen kann jeder Abgeordnete rechnen. Hinzu kommen die Diäten, die sie in gleicher Höhe wie in den nationalen Parlamenten direkt von ihren jeweiligen Heimatländern erhalten. Auch die Reisekosten werden gesondert erstattet. Es folgen einige Details, die von Arnim nennt:

Tagegeld

»Wenn in Brüssel Parlamentssitzungen sind, bietet sich an Freitagen stets dasselbe Bild: Abgeordnete hasten am frühen Morgen in den Raum mit der Anwesenheitsliste, leisten kurz ihre Unterschrift und lassen sich dann vom parlamentarischen Fuhrpark direkt zum Flughafen Richtung Heimat chauffieren.« Dies sei auch unter der Woche zu beobachten.

Für diese eine Unterschrift gibt’s satte 268 Euro Tagegeld; auch für Freitage, an denen gar keine Sitzungen des EU-Parlaments stattfinden. Pro Monat machen laut von Arnim die Tagegelder pro Person 3.500 Euro aus.

Das Geld soll die Kosten der Abgeordneten decken. Der Haken an der Sache: Wer preiswerte Unterkünfte nutzt und sich von Lobbyisten zum Essen einladen läßt, behält vom Tagegeld ein beträchtliches steuerfreies Zusatzeinkommen übrig. Fahrtkosten fallen in Brüssel oder Straßburg ebenfalls nicht an, da es ja den parlamentarischen Fuhrpark und kostenlose Taxigutscheine gibt.

Pseudo-Reisekosten

Durch pauschale Reisekostenabrechnungen können sich die MdEP ebenfalls ein Zusatzeinkommen verschaffen.

Wenn ein Abgeordneter von Berlin nach Brüssel fliegt, bekommt er gut 1.000 Euro erstattet. Hat der deutsche Abgeordnete jedoch einen Billigflug für 200 Euro genutzt, steckt er völlig legal 800 Euro in die eigene Tasche – steuerfrei. Hinzu kommt noch eine üppige Entfernungspauschale. Im Ergebnis könnte ein deutscher EU-Abgeordneter dadurch knapp 30.000 Euro pro Jahr zusätzlich einstecken.

Auch PKW-Reisen können abgerechnet werden. Ob der Abgeordnete aus beruflichen Gründen oder zum Privatvergnügen mit seiner Familie nach Brüssel gefahren ist, wird nicht geprüft.

Ein normaler Bürger würde bei solch einem Verhalten von seinem Arbeitgeber wegen Betrug fristlos entlassen und vor Gericht gezerrt. Abgeordnete des EU-Parlaments genießen aber Narrenfreiheit.

3.785 Euro Monatspauschale

Diese Pauschale bekommt laut von Arnim jedes MdEP monatlich für seine Kosten in der Heimat. Ob diese entstehen, ist egal.

Für insgesamt zehn Ausgabeposten seien die 3.785 Euro aus der EU-Kasse gedacht. Von Arnim: »Der größte Teil dieser Kosten wird den deutschen EU-Abgeordneten aber bereits vom Bundestag erstattet.« Ob eigenes Büro samt technischer Ausstattung oder Bahnfahrt erster Klasse, bei deutschen EU-Abgeordneten bleibe somit »regelmäßig ein beträchtliches steuerfreies Zubrot übrig.«

Laut von Arnim entstünden den MdEP natürlich auch Kosten. »Dafür aber ist die monatliche Pauschale von 3.785 Euro regelmäßig weit überhöht.«

Auf Grundlage von Aussagen hochrangiger Persönlichkeiten und des Europäischen Rechnungshofes kommt von Arnim zu dem Schluß: »Die Pauschale ist aus der Luft gegriffen, ohne in angemessenem Bezug zu der tatsächlichen Lage oder den tatsächlichen Kosten zu stehen. [...] Das Problem der geltenden Regelung besteht darin, daß keinerlei Belege betreffend die Verwendung des Geldes erforderlich sind.«

Assistenzzulage

»Zulage für parlamentarische Assistenz« nennt sich der Betrag von bis zu 14.865 Euro, den ein MdEP monatlich zur Beschäftigung von Mitarbeitern zur Verfügung gestellt bekommt (Stand 2005).

»Über Fähigkeiten und Verwendung der Mitarbeiter verlangt niemand Rechenschaft. Es gelten keine Mindestqualifikationen.«

Die Zulage, so von Arnim weiter, werde regelmäßig zur Vetternwirtschaft genutzt. Ganze Familien würden so aus völligem Eigennutz der Abgeordneten in Lohn und Brot gebracht.

Seit einem Presseskandal 1999 sähen deutsche MdEP von der Beschäftigung von Familienmitgliedern ab (obwohl die EU es ihnen nicht verbietet). EU-Abgeordnete anderer Länder führen diese Praxis der Vetternwirtschaft aber uferlos fort.

Wenn nicht gerade Scheinverträge mit Familienmitgliedern abgeschlossen würden, zweckentfremden MdEP ihre Mitarbeiter auch gerne zur Aufgabenerledigung auf nationaler Parteiebene. Es fände hier sozusagen eine illegale Finanzierung der heimischen Partei durch die Hintertür statt, was dem MdEP zudem große Macht verschaffe.

Die Mittel für solche »Wohltaten« auf Kosten der Bürger der EU-Mitgliedsstaaten hätten sich von 1980 bis 2002 vervierfacht. Ein Ende sei nicht in Sicht.

Von Arnim: »Angesichts der geschilderten Manipulations- und Mißbrauchspraxis ist es kein Zufall, daß um die Assistenten ein großes Geheimnis gemacht wird. [...] Die schlaraffenländischen Möglichkeiten der Abgeordneten, sich aus Mitarbeiterfonds selbst zu bedienen, erklären, zumindest zum Teil, warum die dafür vorgesehenen öffentlichen Mittel im Laufe der Zeit so gewaltig zugenommen haben [...] Schließlich entscheiden die Abgeordneten ja selbst über das Volumen der Fonds, die sie sich bewilligen.«

Luxus-Krankenversorgung

»In allen Staaten Europas müssen die Gesundheitsleistungen radikal eingeschränkt werden.« Hans Herbert von Arnim zufolge blieben EU-Abgeordnete von diesen Sparzwängen gänzlich unbetroffen. Ohne jegliche Beitragszahlung haben sie sich selbst eine üppige Versorgung für den Krankheitsfall bewilligt.

Der Katalog des Artikel 21 der »Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung« liest sich nicht nur für Hartz IV-Familien wie ein Wunschzettel für Weihnachten – davon träumen heute auch weite Kreise aus dem Mittelstand.

Von Arnim faßt das beitragsfreie Luxusleben zusammen: Es »werden den Abgeordneten wie Privatpatienten alle Arzt- und Krankenhauskosten erstattet sowie alle ärztlich verordneten Arzneimittel. Auch teure Zahnbehandlungen und Zahnersatz, die Kosten von Brillen und Kontaktlinsen alle zwei Jahre sind innerhalb großzügiger Margen erstattungsfähig. Hinzu kommt die Kostenerstattung von Akupunkturbehandlungen, die Gewährung von Tagegeldern nicht nur bei Genesungskuren, sondern auch bei Badekuren und vieles mehr«.

Für diese Gesundheitsfürsorge könne sich jeder Abgeordnete für sich und jedes Familienmitglied jeweils bis zu 30.000 Euro jährlich aus der EU-Kasse erstatten lassen. Eine vierköpfige Familie habe demnach 120.000 Euro jährlich – ohne Beitragszahlung.

»Während also alle Menschen Einschnitte hinnehmen müssen, koppeln sich die Brüsseler Volksvertreter mit ihrer selbstgemachten „Kostenerstattungs- und Vergütungsregelung“ von dieser Entwicklung ab und schöpfen aus dem Vollen.«

Hinzu komme nach Ausführungen in »Das Europa-Komplott« noch eine völlig überzogene Doppelversorgung bei den Pensionen und riesige Zusatzeinkommen durch kassierte Gelder für Lobbyarbeit. Alles abgesegnet in nicht-öffentlichen Verhandlungen des Parlaments.

Quelle: UN 11/2007
zurück | drucken Erstellt am Freitag, 07. Dezember 2007