Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Wahlvorschlages der NPD zur Landratswahl in Ostvorpommern am 18.05.2008.
In seiner öffentlichen Sitzung am 8.4.2008 hat der Kreiswahlausschuß des Landkreises Ostvorpommern den Wahlvorschlag der NPD mit dem Landratskandidaten Michael Andrejewski nicht zugelassen.
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Zwar trifft es zu, daß die Kandidaten die Voraussetzungen des Kommunalwahlgesetzes in Verbindung mit dem Landebeamtengesetz zu erfüllen haben, wozu auch das jederzeitige Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern gehört.
Wie in dem Schreiben des Innenministeriums an die Kreiswahlleiter – das mir vorliegt – aber weiter dargestellt wird, schließt die Mitgliedschaft in einer Partei, die nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde, jedoch mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbare Ziele verfolgt, nicht zwingend ein verfassungstreues Verhalten aus.( BVerfG 39,334)
Selbst wenn man – wogegen ich mich verwahre – die NPD so einschätzen wollte, wäre eine Ablehnung nur wegen meiner Parteizugehörigkeit rechtswidrig. Es muß eine individuelle Prüfung erfolgen, für die die Rechtssprechung hohe Anforderungen entwickelt hat. Ein Blick in Wikipedia, ein Zettel mit ein paar Zitaten und ein Schreiben des Innenministers, in dem er sich über mein Verhalten im Landtag beklagt, genügen da nicht.
Die Mitgliedschaft ist ein mögliches Beurteilungselement, bei dem jedoch die Umstände des Erwerbs der Mitgliedschaft, die Kenntnisse von und das Bekenntnis zu verfassungsfeindlichen Zielen der Partei und Aktivitäten des Bewerbers für sie mitzubewerten sind. (BVerwG, DVBL 81, 455)
Zweifel an der Verfassungstreue gründen sich auf eine Vielzahl von Fall zu Fall wechselnder Beurteilungselemente( BVerfG,39,334) wobei mehrerer Elemente, die je für sich ein negatives Urteil nicht stützen können, nach der Theorie des Summeneffekts in ihrer Gesamtheit rechtserhebliche Zweifel auslösen können.(BVerwG,DVBl 81, 460)
Die Verfassungstreue des Bewerbers enthält ein prognostisches Urteil über die Persönlichkeit. Deshalb besteht eine Beurteilungsermächtigung des Dienstherrn.( BVerwG, DVBl 81,455)
Bei einer stets notwendig einzelfallorientierten Würdigung muß der Dienstherr insbesondere einbeziehen:
► die gegenwärtige oder frühere Zugehörigkeit eines Kandidaten zu einer Organisation, deren Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung widerstreiten,
► seine gegenwärtigen oder früheren Aktivitäten für eine derartige Organisation,
► die sonstigen Verhaltensweisen, so weit sie Rückschlüsse auf seine Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zulassen sowie –,
► seine Äußerungen im Einstellungsverfahren.
Der Dienstherr hat das Recht, aber auch die Pflicht, die einzelnen Beurteilungselemente für die Prognoseentscheidung zusammenzutragen. (Wind/Schimana/Wichmann/Langer,
Öffentliches Dienstrecht, Rdnr. 104)
Die Rechtssprechung hat entschieden, daß der Dienstherr im Vorstellungsgespräch dem Bewerber sachdienliche Fragen zur Mitgliedschaft in einer Organisation mit verfassungswidrigen Zielen stellen und gegebenenfalls in persönlicher Rede und Gegenrede vertiefen darf.
Außerdem fordert das Bundesverwaltungsgericht, daß die Behörden Anhaltspunkten für Zweifel nachgehen, auch durch Anfragen beim Staatsschutz.( DVBl,81,455)
So viel Mühe müßen sich Behörden bei der Prüfung von Bewerbern geben.
Aus all dem ergibt sich, daß der Kreiswahlausschuß gar nicht qualifiziert ist, die Geeignetheit eines Kandidaten im Hinblick auf seine Verfassungstreue zu beurteilen.
Er stellt ein Gremium aus Amateurpolitikern dar, deren Aufgabe sich bisher darauf beschränkt hat, die Formalien eines Wahlvorschlags zu begutachten.
Ihm fehlen sowohl die Zeit als auch die Ressourcen und die Informationen, um die von der Rechtssprechung geforderte Einzelfallbeurteilung zu leisten.
Alle vom Landesinnenministerium aufgeführten Urteile sind im Hinblick auf die bisherige beamtenrechtliche Praxis zu sehen, in der der jeweilige Dienstherr die individuelle Prüfung durchführte.
Wie oben ausgeführt, hat der Dienstherr die Pflicht, alle einzelnen Beurteilungselemente zusammenzutragen und dabei auch sonstige Verhaltensweisen zu berücksichtigen, wenn sie Rückschlüße auf die Haltung zur freiheitlichen Grundordnung zulassen.
Dabei muß er so akribisch und detailliert vorgehen, daß tatsächlich ein
prognostisches Urteil über die Persönlichkeit möglich wird.
Das geht nicht im Schnellverfahren. In meinem Fall wären alle öffentlichen Äußerungen zu würdigen – Landtagsreden, Reden auf Demonstrationen, presserechtlich verantwortete Flugblätter, Äußerungen in Interviews – und aus diesen wäre ein Gesamtbild zu erstellen.
Dies wird bei Bewerbungen für die Beamtenlaufbahn von dafür ausgebildeten Kräften in den Behörden geleistet, die über alle notwendigen Informationen verfügen oder sich diese verschaffen können, die die erforderlichen beamtenrechtlichen Kenntnisse besitzen und sich die Zeit nehmen können, alle relevanten Fakten mit der gebotenen Sorgfalt zu sichten, die sich aus ihrer Dienstpflicht als Beamte ergibt.
Hinzu kommt, daß weder ein Bewerbungsgespräch noch eine Anhörung stattfanden. Zu Äußerungen im Einstellungsverfahren gab es gar keine Gelegenheit. Diese sind im Wahlprüfungsverfahren gar nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Vertrauensperson für den Wahlvorschlag, sich kurz vor der Entscheidung des Wahlausschußes zu äußern, stellt dafür keinen Ersatz dar.
Wie in einem Inquisitionsverfahren werde ich im Unklaren darüber gelassen, welche Äußerungen man mir vorwirft und ob die zahlreichen Aussagen in meinen Landtagsreden, in denen ich mich für die Grundrechte, insbesondere für Meinungsfreiheit und Menschenwürde, einsetzte, dem Kreiswahlausschuß überhaupt bekannt waren.
Alle Zitate sind bestenfalls interpretierbar, aber keinesfalls eindeutig verfassungswidrig. Beispielsweise meine ich immer das herrschende Parteiensystem, wenn ich "System" sage, was sich in einem regulären Bewerbungsverfahren durch eine einfache Nachfrage hätte klären lassen.
Zu bedenken ist auch hier die V-Mann-Problematik. Das Innenministerium hätte dem Kreiswahlausschuß verbindlich mitteilen müßen, daß ich kein V-Mann bin. Erfolgte diese Information nicht, konnte der Kreiswahlausschuß die von der Rechtssprechung geforderte Persönlichkeitsprognose gar nicht erstellen.
Denn wenn ich ein V-Mann wäre, hätte ich sogar nach den Maßstäben des Innenministers zur "Verfassung zurückgefunden" – ja sogar zum Verfassungsschutz.
Das Bundesverwaltungsgericht führte aus: Ein zunächst gerechtfertigter Zweifel an der künftigen Verfassungstreue kann in erster Linie durch ein Eintreten des Bewerbers für eine verfassungsgemäße Haltung seiner Partei ausgeräumt werden, wobei es dem Bewerber obliegt, möglicherweise nur ihm bekannte Umstände darzutun, die für die Beurteilung seiner Verfassungstreue von Bedeutung sein können, das heißt die festgestellten Beurteilungselemente und die darauf gestützte Eignungsprognose in einem anderen Licht erscheinen lassen.( BVerwG 61,194, 47,330,338)
Wäre ich allerdings ein V-Mann ohne Aussagegenehmigung, stünde mir dieser Weg nicht offen.
Der Dienstherr wüßte das – er könnte sich darüber informieren, ob ich ein V-Mann des Landes- oder Bundesamtes für Verfassungsschutz wäre, oder des BND, oder des MAD, oder des Staatschutzes oder eines befreundeten Geheimdienstes.
Der Kreiswahlausschuß weiß dies nicht und darf es auch nicht erfahren, weil seine Mitglieder wohl nicht über die notwendige Geheimhaltungsstufe verfügen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden:
1) Die Rechtssprechung stellt Anforderungen an die Prüfung der Bereitschaft eines Bewerbers für die Verbeamtung, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.
2) Diese Anforderungen richten sich beamtenrechtlich an den Dienstherrn.
3) Auch der Kreiswahlausschuß hat diese Voraussetzungen zu erfüllen, wenn er aus beamtenrechtlichen Gründen Kandidaten die Wahlteilnahme verwehrt.
4) Die Kandidatur wäre dann analog einer Bewerbung
5) Erfüllt der Kreiswahlausschuß diese Voraussetzungen nicht, wäre seine Entscheidung rechtswidrig und verletzte die Grundrechte des Kandidaten aus Art. 33,38 GG
6) Diese Anforderungen bestehen darin, in einer notwendig einzelfallorientierten Würdigung aus einzelnen Beurteilungselementen zu einem prognostischen Urteil über die Persönlichkeit hinsichtlich der zu erwartenden Verfassungstreue zu gelangen.
7) Berücksichtigt werden müßen auch "alle sonstigen Verhaltensweisen", aus denen sich Rückschlüße auf die Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ergeben – in meinem Fall also etwa die Landtagsreden.
8) Der "Dienstherr", also die Behörde, bei der die Bewerbung als Beamter erfolgt, kann diesen Anforderungen gerecht werden.
9) Er hat die notwendigen Informationen oder kann sie sich beschaffen
10) Er weiß auch oder kann in Erfahrung bringen, ob der Bewerber V-Mann ist.
11) Ihm steht genug Zeit für eine pflichtgemäße Prüfung zur Verfügung, ebenso Erfahrung auf dem Gebiet des Personalwesens.
12) Er verfügt über qualifiziertes Personal, das aus eigenem beamtenrechtlichen Wissen entscheiden kann und alle relevanten Urteile auch gelesen hat.
13) Deshalb ist es in 15 Bundesländern auch gängige Praxis, daß jeder Bewerber, der die wahlrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, auch antreten darf und die Prüfung der beamtenrechtlichen Erfordernisse erst nach erfolgter Wahl angesichts der dann bevorstehenden Verbeamtung statt findet.
14) Dies war auch in Mecklenburg-Vorpommern so bis vor wenigen Wochen.
15) Die Kreiswahlausschüße werden den von der Rechtssprechung verlangten Anforderungen nicht gerecht.
16) Während ihrer wenigen Sitzungen und in dem kurzen ihnen zur Verfügung stehenden Zeitraum können sie ein prognostisches Urteil über die Persönlichkeit eines Kandidaten gar nicht erarbeiten.
17) Ihnen fehlen die notwendigen Informationen.
18) Es ist zum Beispiel wenig glaubhaft, daß die Kreiswahlausschußmitglieder auch nur einen Teil meiner Reden und Artikel gelesen und auf Elemente meiner Haltung zum Grundgesetz überprüft haben, von der Lektüre der einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ganz zu schweigen.
In welchem Verhältnis stehen die angeblich verfassungswidrigen Äußerungen zu anderen öffentlichen Aussagen, die klar grundgesetzbejahend sind?
19) Es ist noch weniger glaubhaft, daß sie vertrauliches Material von den Verfassungsschutz- oder Staatsschutzbehörden in ausreichender Menge erhielten.
20) Als ausgeschlossen kann angesehen werden, daß sie positiv wissen, ob ich V-Mann ohne Aussagegenehmigung einer der oben bezeichneten Dienststellen bin.
21) Damit ist eine Persönlichkeitswürdigung – und Prognose im Hinblick auf die Verfassungstreue gar nicht möglich.
22) Zudem sind die Kreiswahlausschüße mit Amateurpolitikern besetzt, denen in aller Regel die Qualifikation auf den Gebieten des Personalwesens und des Beamten- und Verfassungsrechts fehlt, die sie haben müßten, um die einzelfallorientierte Würdigung und die Persönlichkeitsprognose zu erstellen.
23) Eine ausreichende Beratung durch das Innenministerium fand zum einen nicht statt, zum anderen wäre eine solche auch nicht zielführend, weil sich die Kreiswahlausschüße nach einer Beratung ein eigenes Urteil bilden müßten, was ihnen – im Gegensatz zu einem Richter nach Lektüre eines Sachverständigengutachtens – aufgrund ihrer Defizite gar nicht möglich ist.
24) Sie wären nicht in der Lage, suggestiver Einflußnahme des Ministeriums eigene Sachkenntnis entgegenzusetzen, zumal sich Innenminister Caffier schon im Februar öffentlich mit der Aufforderung an den Kreiswahlausschuß von Ostvorpommern wandte, mich nicht zur Wahl zuzulassen.
Die Kreiswahlausschüsse übernehmen quasi über Nacht Aufgaben, die bisher von den dafür vorgesehenen und ausgestatteten Behörden wahrgenommen wurden. Nur diese können die von der Rechtsprechung verlangten Anforderungen erfüllen. Der Kreiswahlausschuß Ostvorpommern kann dies genauso wenig wie der Landeswahlausschuß.
Eine gesetzeskonforme Prüfung ist unter diesen Umständen ausgeschlossen, sowohl einer Bewerbung als Beamter als auch einer Zulassung zur Wahl als Beamter auf Zeit. Eine Verletzung der Grundrechte aus Art.33,38 GG ist wegen der Nichterfüllung der von der Rechtssprechung geforderten Voraussetzungen an eine individuelle Prüfung zu bejahen.
Zweifel an der künftigen Verfassungstreue dürfen nicht auf vereinzelten Äußerungen beruhen, sondern nur auf der Gesamtheit aller zur Verfügung stehenden Beurteilungselemente.
Von diesen stand dem Kreiswahlausschuß nur ein Bruchteil zur Verfügung. Dies wird in einem eventuell anstehenden Wahlprüfungsverfahren bis hin zum Landesverfassungsgericht auch unter Beweis gestellt werden.
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Erstellt am Mittwoch, 09. April 2008