Landrat Jesus oder: Was wäre, wenn …

Erstens: Könnte man die christlichen Kirchen aufgrund des folgenden Jesuswortes verbieten: „Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein (Lukas 14,26)?

Wer dieses Zitat isoliert betrachtet, kommt wahrscheinlich zu dem Ergebnis, das Christentum sei eine familienfeindliche Haßideologie. Aber das wäre vielleicht ein wenig unfair. Denn es existieren ja noch viele weitere christliche Aussagen – das ganze Neue Testament, bei den Katholiken die Kirchenlehrer, bei den Protestanten der Katechismus und wer weiß was noch alles.

Davon sollte man schon einiges gelesen haben, bevor man eine ganze Religion wegen eines einzigen Zitats – oder auch einer Handvoll davon – in Bausch und Bogen verurteilt.

Die entscheidende Frage, und nicht nur bei den Kirchen, lautet: Welcher Stellenwert kommt der Einzelaussage im Gesamtwerk zu?

Die NPD-Landratskandidaten Köster und Andrejewski haben sich in ihrem politischen Leben nicht auf die paar Aussagen beschränkt, die immer wieder hervorgekramt werden. Beide meldeten sich in Mediengesprächen, Artikeln und Landtagsreden vielfältig zu Wort.

Daher folgender Auftrag an die Wahlausschüsse: Lesen Sie das alles, analysieren Sie die Texte im Hinblick auf die dabei zum Ausdruck kommende Haltung zum Grundgesetz, interpretieren Sie die Formulierungen, gewichten Sie diese und stellen Sie abschließend dar, ob die Ihnen vermutlich von Herrn Caffier zugespielten Zitate typisch oder untypisch sind und inwieweit sie in die Gesamttendenz passen.

Keine Panik, es sind nur jeweils 60 bis70 Landtagsreden pro Kandidat. Das schaffen Sie leicht in der verbleibenden Zeit. Die Protokolle gibt’s im Schweriner Schloß.

Ach ja, und verbieten Sie bitte nicht die jüdische Gemeinde, weil Jahwe in 4. Mose 31 seine Israeliten aufgefordert hat, alle Midianiter abzuschlachten - bis auf die unberührten Mädchen für den Eigengebrauch. Lesen Sie bitte vorher zumindest das ganze alte Testament und den Talmud. So viel Fairneß muß sein.

Zweitens: Wie sind die betreffenden Zitate eigentlich gemeint?

Ende Januar schrieben 17 CDU-Politiker, darunter Ole von Beust, einen Brief zur Integrationspolitik. Darin hieß es: „Die Integrationspolitik dürfe nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden.“

Wie soll man das denn verstehen? Halten diese so genannten Christdemokraten Wahlkämpfe und damit Wahlen und damit die Demokratie für etwas Minderwertiges? Hegen sie eine Vorliebe für Geheimpolitik?

Das wäre eine mögliche Interpretation, angesichts der Herrschaftspraxis dieser Leute noch nicht einmal die unwahrscheinlichste. Trotzdem wissen sie am besten, was sie gemeint haben, und sie sollten auch die Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äußern.

Dem NPD-Abgeordneten Andrejewski beispielsweise wird immer folgender Ausspruch vorgehalten: „Durch andauernde kommunale Arbeit eine solide Basis für eine nationale Alternative schaffen, die einst das herrschende Parteiensystem ablösen soll.“

Abgesehen davon, daß man schon extrem sehbehindert sein muß, um in dem Text „Grundgesetz“ statt „ Parteiensystem“ zu lesen: Ein faires Zulassungsverfahren beinhaltet natürlich, daß man ihn fragt, wie er diese Äußerung interpretiert!

Drittens: Was ist hier Wahlrecht, und was Beamtenrecht?

Man muß hier zwischen zwei Dingen unterscheiden: der Zulassung zur Wahl und der späteren Ernennung des Siegers zum Wahlbeamten. Ob Kriterien, die erst bei der Verbeamtung erfüllt sein müssen, schon bei der Wahlzulassung eine Rolle spielen dürfen, ist höchst zweifelhaft. Wir befinden uns hier auf völligem Neuland.

Noch nie ist bislang jemand auf die Schnapsidee gekommen, Bewerbern aus einer nicht verbotenen Partei die Teilnahme an einer Landrats- oder Bürgermeisterwahl zu verwehren. Die Wahl gleicht einem Bewerbungsverfahren, und bewerben darf sich erst einmal jeder, dem das passive Wahlrecht zusteht.

Viertens: Was für Folgen hätte eine Nichtzulassung? Nun, noch nie war die Märtyrerkrone so billig.

Zu Recht haben Kritiker eines Parteiverbots darauf hingewiesen, daß ein solches der NPD den Status politischen Verfolgter und Märtyrer einbringen würde, ohne sie letztlich daran hindern zu können, sich irgendwie neu aufzustellen und weiterzumachen. Aber das würde zumindest einiges an Mühe und Zeit erfordern.

Ein Ausschluß aus den Landratswahlen hingegen kostet gar nicht. Sehr ordentliche Ergebnisse sind zwar zu erwarten, aber kaum ein Sieg. In Ostvorpommern lag die NPD in der Landtagswahl bei 12 Prozent gegen 88 (ausgerechnet!) der anderen.
Aber ein erheblicher Teil der Bevölkerung, nicht nur die Anhänger und Wähler der Partei, würden eine Nichtzulassung für einen undemokratischen Akt politischer Diskriminierung halten und entsprechend reagieren – bei der Kommunalwahl 2009!

Auch die möglichen juristischen Folgen sind nicht zu verachten: Nehmen wir an, die Landratswahlen müßten in ein, zwei Jahren nach einer erfolgreichen Wahlanfechtung durch die NPD wiederholt werden. Das würde ein Mordsgaudi!
zurück | drucken Erstellt am Donnerstag, 03. April 2008