Einfach toll! Tourismus-Verband im Zahlen- und Wortrausch

Ein Preis für die "Albernste Pressemitteilung des Jahres"? Gebe es einen, gehörte eine am 8. Juni 2007 erschienene höchstwahrscheinlich zum engeren Anwärterkreis. "Positive touristische Bilanz des G8-Gipfels. Erwartungen des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern erfüllt" lautet die Überschrift. Der Beitrag aus dem Hause TMV überflutet die Leserschaft geradezu mit einer durch absolute Zahlen untermauerten Jubel-Arie, die sich bei näherem Nachdenken schnell als das entpuppt, was sie ist: ein Auftritt, dessen stimmliche Defizite mit Unterstützung technischer Hilfsmittel eine leidliche Kompensierung erfahren.

Da ist die Rede von "100.000 zum größten Teil friedlichen Gästen", die "tolles Wetter" und "gastfreundliche Menschen" erlebten. Gewiß besteht an der Friedlichkeit der Mehrzahl der Gipfel-Gegner auch heute kein Zweifel. Doch 100.000? Ungefähr 30.000 beteiligten sich am 2. Juni an der Großdemo in Rostock. Selbst bei Hinzurechnung der nahezu 18.000 Polizisten und 4.000 Journalisten sowie von "Service-Kräften" wird die genannte Zahl bei weitem verfehlt. Vielleicht aber wurden die bei Konzerten, Kundgebungen und kleineren Aufzügen jeweils Anwesenden ja unter Ausblendung von Mehrfach-Teilnehmern einfach summiert - menschlich, allzu menschlich eben.

Und: was blieb den Bewohnern der um Heiligendamm liegenden Dörfer und Bad Doberans auch weiter übrig, als sich mit herben Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie Gästen in Uniform und Zivil zu arrangieren? Das "tolle Wetter" wird spätestens dann Ablösung von einer Orkanfront erfahren, wenn die wahren Kosten des Kaviar- und Globalisierungs-Gipfels feststehen werden. 120 Mio. Euro statt der vor dem Gipfel bekanntgewordenen ohnehin schon erklecklichen 93 Mio. sollen die Ausgaben mittlerweile betragen. Da geht noch was ...

Desweiteren habe es 100.000 zusätzlich zu Buche schlagende Übernachtungen gegeben; für 2007 hoffen die TMV-Funktionäre auf insgesamt 25 Mio. Übernachtungen (2006: 24,7 Mio.). 100.000 bei 25 Mio. ergeben einen prozentualen Anteil von 0,4 % - eine Größe im unteren Promillebereich, die für Hotel- und Pensionsinhaber fraglos bares Geld darstellt. Doch wäre die Auslastung Anfang Juni auch ohne Gipfel eine gute bis sehr gute gewesen.

Relativierung erfährt der Zahlenrausch in einem Beitrag der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung. "Der Optimismus wird auch durch die Entwicklung in den ersten vier Monaten gespeist: Das Besucherplus lag Ende April 20 Prozent über Vorjahresniveau", lesen wir dort. Die überaus beeindruckende Zahl stammt übrigens von derselben TMV-Führung, die im September 2006 angesichts des NPD-Landtagseinzuges von einem drohenden Einbruch bei Gäste- und Übernachtungszahlen schwadronierte. Völlig zu Recht sprechen die nationalen Kräfte in diesem Zusammenhang von einer "Tourismus-Lüge". Sollte die Zielmarke von 25 Mio. 2007 geschafft werden, würde das allerdings auch uns sehr erfreuen – Hand drauf!

In der Pressemitteilung folgen dann – wiederum in Zahlen – zu Erfolgen hochstilisierte Selbstverständlichkeiten: Die Info-Broschüre "The World Meets MV" mit 75.000 Stück in zwei Auflagen sei vergriffen. Mist, zu spät gekommen! "An 20.000 Polizisten und Service-Kräfte wurde außerdem ein vom Tourismusverband gestalteter Reiseführer für Mecklenburg-Vorpommern verteilt." Ein Führer mit Aufklärung über die Waffenarsenale in Camps sowie die Schleich- und Fluchtwege von Rostocks Innenstadt sowie in und um Heiligendamm wäre wohl angebrachter gewesen. Doch was tut man nicht alles für "Deeskalation". Sonderurlaubsverdächtig ist in jedem Fall die Ausreichung von "500 Pressemappen mit Foto-CDs".

Rein verbal lief der Bau von Wolkenkuckucksheimen ebenfalls wie geschmiert: "Jetzt kommen viele erst recht, um zu sehen, wo Frau Merkel oder Herr Bush gegangen sind oder gegessen haben", erklärte der Nachrichtenagentur tdt zufolge allen Ernstes Bernd Fischer vom Landes-Tourismusverband. Doch merke: Selbst treue Leser von "Bunte" und "Bild" erwarten da schlichtweg einen anderen Unterhaltungs-Cocktail: Die Erstellung von Geruchsproben der Staatsmänner und –frauen inklusive ihrer Präsentation in Vitrinen wäre so ein "Clou" gewesen, durch den sich sensationslustige Zeitgenossen vielleicht zum Sternmarsch gen Heiligendamm animiert gefühlt hätten. Aber eben nur vielleicht.

Um das Hierarchiegefüge erst gar nicht zu verletzen, sei auch gleich noch Fischers Chefin Sylvia Bretschneider zitiert: "Die Ostsee, die Häfen und auch die Strandkörbe gaben eine tolle Kulisse ab", jubilierte Frau Bretschneider, wobei sie ganz zufällig vergaß, US-Kriegsschiffe sowie Küstenfahrzeuge der Bundesmarine und Tornado-Flugzeuge zu erwähnen. Die zählten in jenen Gipfeltagen wie selbstverständlich dazu. Jetzt, eine knappe Woche nach Beendigung des Irrsinns, bietet auch die Küstenregion um Heiligendamm und Kühlungsborn wieder ein schönes, entspanntes Bild – mit Ostsee, Häfen und Strandkörben - fernab jeder Bretschneiderschen Halluzination.

Die dicke Rechnung kommt aber noch. Die NPD hat auch vor den Folgekosten rechtzeitig gewarnt und sich auch deshalb als einzige im Landtag vertretene Fraktion gegen den Gipfel ausgesprochen.
zurück | drucken Erstellt am Montag, 18. Juni 2007