Keine Unterstützung türkischer Großmacht-Interessen!

In Mecklenburg stationierte Soldaten könnten schon bald in den türkisch-syrischen Konflikt verwickelt sein.

Wie ein Sprecher des Flugabwehrraketen-Geschwaders 2 (Sanitz, Bad Sülze) regionalen Medien gegenüber bestätigte, verfügt die Einheit über die vom NATO-„Partner“ Türkei angeforderte neueste Version des Patriot-Systems „config 3“. Bad Sülze sei einer von lediglich drei deutschen Standorten, der über entsprechende Rampen verfüge. Die Raketen befänden sich an anderen Orten.

Im ersten Moment klingt es alles vollkommen einleuchtend: Die Türkei fühlt sich von Syrien bedroht und ruft nunmehr die NATO-Verbündeten um Hilfe an. Patriot-Systeme sollen an der Grenze zum syrischen Nachbarn stationiert werden, um so besser auf Angriffe aus der Luft gewappnet zu sein. Die aber hat es bislang nicht gegeben, zumal Syriens Präsident Baschar al Assad zur Zeit ganz andere Sorgen hat, als zum Angriff auf die Türkei zu blasen. Auch steht nicht einmal fest, wer für die Granateneinschläge in türkischen Grenzdörfern verantwortlich ist: Regierungstruppen oder Rebellen? Wohl eher beide Seiten.

Neo-osmanische Träume

Wozu dann aber die „Patriots“? Im Kommentar der linken Tageszeitung Neues Deutschland (Ausgabe vom 19.11.2012) wird der Nagel wahrscheinlich genau auf den Kopf getroffen: „Sie (die „Patriots“ – d. Red.) können dank ihrer Reichweite (je nach Typ zwischen 15 und 160 Kilometer – d. Red.) und Präzision ein Teil der Flugverbotszonen-Strategie sein, um – wie in Libyen – den Aufständischen den Weg nach Damaskus zu öffnen. Daß der Westen dabei ist, aus dem syrischen Bürgerkrieg einen soliden internationalen Konflikt zu machen, zeigt Frankreichs Forderung nach umgehenden Waffenlieferungen an die so genannte Freie Syrische Armee.“  

Und die Türkei selbst? Ihre Führung verfolgt seit einigen Jahren neo-osmanische Träume. Erst kürzlich hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gewohnt großsprecherisch verkündet: „Wir sind bewegt vom Geist, der das Osmanische Reich gründete.“ Auch müsse die Türkei „überall dort hingehen, wo unsere Vorfahren gewesen sind.“

„Multidimensionale Politik“

In einem lesenswerten Beitrag („Neues Reich am Bosporus“) in der Februar-Ausgabe 2010 der Zeitschrift Zuerst! wurde die neue Außenpolitik Ankaras umfassend skizziert. „Mit Davutoglu hat die Türkei … einen Außenminister (seit 2009 – d. Red.), der in den letzten Jahren tatsächlich eine neue Außenpolitik konzipiert und als Erdogans Berater auch durchgesetzt hat. Nach der klassischen Neutralitätspolitik der ersten Jahrzehnte der modernen Türkei und der nach 1945 folgenden, ausschließlich auf den Westen orientierten Außenpolitik kommt jetzt die ,multidimensionale Politik‘ von Ahmet Davutoglu zum Zug.“

Der Professor für Politik und Wirtschaft „möchte der Türkei wieder zu größerem Einfluß in der eigenen Region verhelfen. Letztendlich will er an die Politik des Osmanischen Reiches anknüpfen und die Türkische Republik in der ganzen Region, in der das Osmanische Reich einst herrschte, wieder zu einem ,osmanischen Faktor mit anderen Mitteln‘ machen.“ Soweit Zuerst!

Des weiteren ist die Türkische Republik der wichtigste Knotenpunkt für Öl- und Gaslieferungen der Region für den Westen – ein weiterer maßgeblicher Grund für das Selbstbewußtsein, das Ankara an den Tag legt.  

Syrien, das sich vier Jahrhunderte lang (von 1516 bis 1918) unter türkisch-osmanischer Herrschaft befand, wird ganz selbstverständlich zum türkischen Einflußbereich gezählt. Neben den Hiwis der USA wie Katar, Bahrain und Saudi-Arabien unterstützt auch die Türkei die syrischen Rebellen seit längerem massiv.

Fast zwei Drittel der Deutschen gegen neues Kriegsabenteuer

Vor diesem Hintergrund erscheint der türkische Wunsch nach „Patriot“-Raketen in einem anderen Licht: Ankara nutzt die technischen und personellen Mittel der NATO, um eigene Interessen durchzusetzen. Das mag völlig legitim sein. Doch besteht für die Bundesrepublik kein Grund, für Ankara die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Außerdem gibt es in der Bevölkerung (im Bundestag ist das naturgemäß anders!) keine Mehrheit für ein neues kriegerisches Abenteuer.

Laut einer am 23. November veröffentlichten Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins wandten sich 59 Prozent der Deutschen gegen eine Entsendung von Bundeswehr-Einheiten an die syrisch-türkische Grenze. Eine Volksabstimmung würde vermutlich ein ähnliches Resultat erbringen, doch Referenden scheut die hiesige politische Klasse bekanntlich wie der Teufel das Weihwasser. Und so werden aller Voraussicht nach deutsche Soldaten an einem weiteren Brennpunkt der Welt ihre Haut für fremde Interessen zu Markte tragen.
zurück | drucken Erstellt am Donnerstag, 29. November 2012