Innenminister ein „Oberchamäleon“

Eine Bannmeile, sichtbar durch so genannte Hamburger Gitter, ein stattliches Polizeiaufgebot im Hintergrund und hunderte Demonstranten – dieses Szenario prägte heute das unmittelbare Umfeld des Schweriner Schlosses.
 
Der Anlaß war ein durchaus bedeutender: Der Landtag entschied über die Kreisgebietsreform, jenes Vorhaben der rot-schwarzen Landesregierung, die durchaus als Bankrotterklärung des etablierten Parteienkartells gewertet werden kann. Die jetzigen Strukturen, so das immer wiederkehrende Argument, ließen sich  angesichts von Abwanderung, Vergreisung und Geburtenrückgang nicht länger aufrecht erhalten – sie sind mithin das Resultat einer volksfeindlichen Politik, die auf Bundesebene beginnt, sich über das Land fortpflanzt und bei den Kommunen endet. 

Die Alt-Parteien versuchen nunmehr mit einer „Reform“, „durch Zentralisierung zum Nachteil des Bürgers Kostenreduzierungen zu erreichen“, so der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs. Es werde sich um eine Kreisgebietsreform handeln, „die die Bürger unseres Landes in ihrem Verhältnis zu den Verwaltungen weiter anonymisiert“ und die den Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen werde.
 
Kreisgebietsreform: Sechs Monstergebilde
 
Zwölf Landkreise und vier kreisfreie Städte sollen zu sechs Monster-Gebilden zusammengezimmert werden, von denen ein jedes an Größe das Saarland übertrifft. Kreisfrei bleiben allein Schwerin und die Hansestadt Rostock. Wer seinen Status als Kreisstadt verliert, dem drohen Arbeitsplatz- und Kaufkraftverluste, eben weil die Kreisverwaltung, so in Ludwigslust, Anklam oder Grevesmühlen, der größte Brötchengeber ist. Und so kämpften sie getreu dem Wahlspruch „Sekt oder Selters“ -wie die Löwen.
 
Die Demonstrationen vor dem Schweriner Schloß sind als vorerst letzten Zuckungen von Verantwortlichen der Landkreise zu werten. Zusammen mit vielen Bürgern ihrer Verantwortungsbereiche hatten sie in den vergangenen Wochen noch einmal gegen das Vorhaben angeschrieben, protestiert und dabei die Vorzüge ihrer jeweiligen Kreisstädte gepriesen – in den meisten Fällen geschah dies zu Recht. Nur zeigt sich auch hier wieder die alte deutsche Krankheit: zu leicht lassen wir uns mit der ebenso typisch deutschen Gründlichkeit wie wilde Hunde aufeinanderhetzen.
 
Risse quer durch etablierte Parteien
 
Über die Vorgänge in den verschiedenen Regionen von Mecklenburg und Vorpommern berichteten wir unter anderem hier, hier, hier und hier.  

Zunehmend verliefen die Risse auch quer durch die Parteien. Als Beispiele mögen die CDU-Landtagsabgeordneten Beate Schlupp und Egbert Liskow sowie der Wismarer Mandatsträger Dr. Gerd Zielenkiewitz (SPD) gelten, die das Reformvorhaben ablehnen. Zudem unterbreiteten zahlreiche Landtagsmitglieder Vorschläge für eine Stadt als Kreissitz, so Dr. Till Backhaus, Detlef Müller, Dr. Margret Seemann (alle SPD), Gabriele Mestan (Linke) und Dr. Armin Jäger (CDU), die einen offiziellen Antrag „pro Ludwigslust“ (statt Parchim) stellten - fast alle kommen, was Wunder, aus der Region, von deren Bürgern sie natürlich selbstredend wiedergewählt werden möchten. Dasselbe gilt natürlich auch für jene Angehörigen des Landtags, die bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Kreisgebietsreform „ihre“ Stadt noch einmal kräftig ins Spiel brachten. Durch Muffensausen beförderter Lokalpatriotismus sozusagen. 
 
Richtig, die „Radikalität“ kommt
 
Jenseits aller Bedenken bewegte sich Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU). Noch vor einem Jahr erklärte Caffier im Landtag: „Die Bürger werden die Namen und die Sitze der neuen Landkreise durch Bürgerentscheide selbst bestimmen dürfen. Das ist deutschlandweit einmalig.“ Nicht einmal davon ist jetzt mehr die Rede, weshalb Caffier vom NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs völlig zu Recht die Bezeichnung „Oberchamäleon“ erhielt.   
 
In Anklam wurde mit Blick auf den Verlust des Kreisstadtstatus’ sogar eine eigene Formel entwickelt: „Kreisstadt geht – Radikalität kommt“. Gemeint ist die NPD. Deren „Radikalität“ in Sachen Kreisgebietsreform bestand von Anbeginn darin, dem Kampf von Städten, die bislang schiedlich friedlich nebeneinander her lebten, um den Verwaltungssitz in einem neuen Großkreis entschlossen entgegenzutreten.  
 
Nationale Alternative zur „Kreisgebietsreform“
 
Die Nationalen präsentierten zum Thema schon vor zweieinhalb Jahren einen eigenen Antrag. Er zielt darauf ab, die Kreisstädte zu stärken. Erhebliche Teile der Landkreisverwaltungen würden fortan zu den Kreisstadtbehörden gehören. Die Kreisstädte, deren Akzeptanz in der Bevölkerung ohnehin größer als die von Landkreisen ist, blieben erhalten. Ob nun Bauamt, Führerscheinstelle oder Umweltbehörde – die Wege zu den Sitzen der Verwaltungen wären für die Bürger die gleichen; die Behördenmitarbeiter würden nur den Dienstherren wechseln. Der schier unerträgliche Kampf zwischen Städten, die bislang gutnachbarschaftlich zusammenlebten, wäre beendet.
 
Dann hieße das Motto eben nicht mehr „Ludwigslust oder Parchim“, sondern „Ludwigslust und Parchim“. Für Greifswald und Anklam, Bad Doberan und Güstrow oder Waren und Neustrelitz gilt natürlich dasselbe.
 
Ihrem Modell der „umlandbetreuenden Stadt“ wird die NPD-Fraktion am Donnerstag, dem 08. Juli, im Landtag noch einmal mit einem eigenen Antrag den nötigen Nachdruck verleihen. Schließlich ist auch beim zweiten Anlauf für eine Kreisgebietsreform mit einer Zahl von Klagen vor dem Landesverfassungsgericht zu rechnen. Die dann zur Verfügung stehende Zeit kann der Landtags dann dafür nutzen, alternative Modelle einer genaueren Prüfung zu unterziehen.
 
Der Kampf für überschaubare Kreise und damit Bürgernähe geht jedenfalls weiter - auch und gerade wegen der heutigen Mehrheit, die das Reformvorhaben im Landtag fand.
zurück | drucken Erstellt am Mittwoch, 07. Juli 2010