Endlich Vollzeit - Jedoch als ALG-II-Empfänger!

Zu den Eigenheiten des heutigen Systems gehört es, sich selbst zu widersprechen. Da erklingt einerseits der Ruf nach mehr Selbständigen und nach mehr "Flexibilität". Andererseits werden den Betroffenen dann neue Knüppel zwischen die Füße geworfen. Wie dem Erwerbslosen-Forum (10.12.2007) zu entnehmen ist, winkte das Bundeskabinett am vergangenen Freitag eine neue ALG-II-Verordnung durch. Sie soll zu Einsparungen bei den Leistungen nach Hartz-IV führen. Betroffen ist nach jetzigem Stand die Gruppe jener Selbständigen, die ergänzend zum Lebensunterhalt Leistungen nach SGB II beziehen.

Der Neuregelung zufolge liegt es künftig im Ermessen der Arbeitsgemeinschaften (ARGEN), darüber zu entscheiden, ob eine betriebliche Ausgabe als angemessen einzustufen ist oder auch nicht. Bislang wurden im ALG-II-Register aufgeführte Selbständige vom jeweiligen Sachbearbeiter ("Fallmanager") aufgefordert, die vom Steuerberater (quartalsweise oder halbjährlich – je nach Ertrag) angefertigte und durch das Finanzamt erfaßte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung vorzulegen. Davon ausgehend, wurden die Sozial-Leistungen mittels Gegenrechnung neu gestaltet. Die Betriebsausgaben nahmen die ARGEN dabei als gegeben hin.

Gegen die Neuregelung bestehen, so das Erwerbslosen-Forum (Elo-forum) völlig zu Recht, gravierende rechtliche Bedenken. Mitarbeiter der ARGEN erhielten durch die neue Verordnung quasi das Recht, Entscheidungen der Finanzämter auszuhebeln bzw. entgegen steuerrechtlichen Vorschriften individuell "nach Ermessen" zu entscheiden. Greift die Regelung, dürfte auf die ohnehin überforderten Sozialgerichte eine neue Prozeßlawine zurollen. Dem Elo-Forum zufolge wird sich das Bundesverfassungsgericht schon zu Beginn des kommenden Jahres mit einem Eilantrag auseinandersetzen müssen. Er betrifft die neuen sozialpolitischen Schweinereien der "Großen Koalition".

Die Stirne runzeln werden, gelinde gesagt, auch jene "Job-Nomaden", die ihren Arbeits- und auch Lebensmittelpunkt in einem anderen Bundesland oder sogar außerhalb der BRD haben. Ein klitzekleiner Trost waren dabei bislang die Verpflegungs-Mehraufwendungen. Sie sollen eine deutliche Senkung erfahren.

Im Erwerbslosen-Forum heißt es dazu: "Dies beträfe vor allen Dingen Monteure, LKW-Fahrer, Handelsvertreter oder Reiseleiter. Hier soll von der in der Einkommenssteuer-Gesetzgebung geltenden Regelung von 6,--, 12,-- und 24,-- Euro je Tag im Inland bzw. unterschiedlichen Tagessätzen im Ausland als steuerfreie Abgeltung für die Mehrkosten bei auswärtiger Verpflegung abgewichen werden, indem nach der Verordnung nur einheitlich 6,-- Euro ab 12 Stunden Abwesenheit abgesetzt werden können. Für viele auswärts Tätige wird damit eine solche Tätigkeit unter wirtschaftlichem Aspekt nicht mehr möglich sein und zur Aufgabe einer solchen Beschäftigung führen. Gerade deshalb ist die Entscheidung kaum nachvollziehbar, denn sie wird aus solchen ergänzend Hartz IV Beziehenden nun Vollzeit-ALG-II-Empfänger machen."

Und um das Maß voll zu machen, enthält die neue Verordnung auch die Regelung, wonach die freie Verpflegung, beispielsweise bei Krankenhausaufenthalten, auf den Regelsatz angerechnet werden kann. "Dabei wird davon ausgegangen, daß vom Regelsatz 35 % auf Verpflegung entfallen, somit 121,45 Euro im Monat (bei einem Regelsatz von 347 Euro!) bzw. 4,04 Euro am Tag." Betroffen seien auch auswärts tätige Monteure mit ALG-II-Bezug.

Tja, so ist das mit den Widersprüchen, die bei näherem Nachdenken so widersprüchlich gar nicht sind: Ein Kennzeichen der Globalisierung ist nun einmal die Mobilisierung von "Menschenmaterial" - zu möglichst niedrigen Preisen, versteht sich. Der dahinter steckende Wirtschaftskrieg (die Betonung liegt auf Krieg!) kennt in vielen Fällen nur noch Befehl und Gehorsam. Also: zack, zack, Pobacken zusammen und ran an die Front! Schließlich müssen wir (fast) alle sparen. Auch gilt es, die Auslandseinsätze der Bundeswehr, EU-Osterweiterung und Ausländer-Integration zu finanzieren. Laßt "Müntes" Nachfolger Olaf Scholz und unsere aller Kanzlerin nicht hängen!
zurück | drucken Erstellt am Dienstag, 11. Dezember 2007