Gummitatbestand Beleidigung

Es empfiehlt sich nicht, zu behaupten, die BRD sei kein Rechtsstaat.
Wer solches äußert, packt am besten gleich die Zahnbürste ein und wartet auf das Abholkommando, weil es nämlich einen Straftatbestand namens Verunglimpfung des Staates gibt, der sich zunehmend zu einer echten Konkurrenz für die gute, alte "Volksverhetzung" entwickelt, was die Anzahl der Verurteilungen und die Höhe der Strafen betrifft.

Die Vorgeschichte

Sprechen wir also lieber von einem Rechtsstaat mit gelegentlichen Ausfallerscheinungen. Besonders gerne fällt der Rechtsstaat beim Straftatbestand Beleidigung aus. Während die Bezeichnung Vortragsnutte, gemünzt auf manche der Abtrünnigen der sächsischen NPD-Fraktion, Grund genug war, die Immunität des Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel zwecks Strafverfolgung aufzuheben, vermochten weder die Staatsanwaltschaft Köln noch der Generalstaatsanwalt irgendeinen beleidigenden Charakter in folgenden Formulierungen zu erkennen, die das WDR-Multikultimagazin Cosmo TV in seiner Sendung vom 23.9.2006 dem Ueckermünder NPD-Abgeordneten Tino Müller an den Kopf warf:

- Er habe einen Flächenbrand gegen Asylbewerberheime mitinitiiert.
- Er leite gleich mehrere nationalistische Kameradschaftsverbindungen, die bekannt dafür seien, gewalttätig zu sein.
- Er sei der Rattenfänger aus Ueckermünde.
- Belästigungen seinerseits und durch seine Kameraden hätten einen Imbisswirt namens Murat dazu gebracht, Ueckermünde zu verlassen.

Starker Tobak. Hätte Tino Müller dies wirklich alles getan, wäre er fällig gewesen wegen Nötigung, Anstiftung zur Brandstiftung und Gründung einer kriminellen Vereinigung. Also müsste es doch, im Umkehrschluß, eine Beleidigung und auch eine Verleumdung darstellen, ihm solche Vorwürfe zu machen.

Was meinte die Kölner Staatsanwaltschaft dazu?

Es sei, so hieß es in der Einstellungsverfügung, nicht behauptet worden, Tino Müller sei persönlich für die tätlichen Angriffe auf das Geschäft des Murat verantwortlich. Damit widerlegte der Staatsanwalt etwas, was in der Strafanzeige gar nicht zum Ausdruck gekommen war, während er den tatsächlichen Vorwurf - Tino Müller habe durch Belästigungen den Murat vertrieben - lieber gar nicht erwähnte. Auch eine Methode, eine Anzeige abzuschmettern.

Im Falle Apfel müßte ein wohlwollender Anklagevertreter einfach so tun, als sei statt Vortragsnutte Ansprachsdame gesagt worden, und dann dem Anzeigeerstatter mitteilen, das sei doch gar nicht beleidigend. Nach dieser mehr oder weniger absichtlichen Fehlleistung ging der Autor der Einstellungsverfügung dazu über, lang und breit die politische Laufbahn Tino Müllers zu schildern und festzustellen, die Berichterstattung über ihn sei auf der Tatsachenseite nicht anzugreifen. Ja, er sei führend eingebunden in verschiedenen politischen Organisationen. Ja, er habe mit seiner Bürgerinitiative 2000 Unterschriften, gegen das Bestehen eines Asylbewerberheimes gesammelt. Aber daß er einen Flächenbrand gegen Asylbewerberheime mitinitiiert habe - diese Behauptung wollte man in Köln lieber nicht strafrechtlich würdigen. Kein Wort davon. Dafür aber ein langer Sermon über die grundsätzliche Zulässigkeit von Begriffen wie Rattenfänger, was im Falle Müllers natürlich keine Schmähkritik sei, sondern eine hinzunehmende pointierte Meinungsäußerung. Wehe, wenn Cosmo TV ihn Vortragsnutte genannt hätte!

Beschwerde beim Generalstaatsanwalt

Natürlich legte Tino Müller gegen die Einstellungsentscheidung Beschwerde beim Generalstaatsanwalt ein. Es erübrigt sich, zu erwähnen, daß diese zurückgewiesen wurde. Mit einer interessanten Begründung allerdings. Nötigung, so wurde Tino Müller belehrt, setze ein rechtswidriges Vorgehen unter Einsatz von Gewalt oder einer Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus, und dies sei in dem Fernsehbeitrag nicht behauptet worden. Genau. Behauptet wurde nur, Belästigungen Tino Müllers hätten den armen Murat dazu gebracht, Ueckermünde zu verlassen. Was für Belästigungen das wohl waren, die ganz ohne Gewalt und Drohungen auskamen? Zumal der Gewaltbegriff bei Nötigung sehr weit gefasst ist und schon bei Sitzblockaden greift! Die Sache mit dem Flächenbrand schließlich sei selbstredend eine reine Metapher zur Beschreibung des schnellen Fortschreitens ausländerfeindlichen Gedankengutes in der Region Ueckermünde und sollte - bei objektiver Betrachtungsweise - nicht zu Assoziationen mit Brandanschlägen auf Asylbewerberheime führen. Eines muß man sagen: Wenn die Kölner Anklagebehörde generell so großzügig ist, werden die Strafverteidiger in der Region bald Hartz IV beantragen dürfen. Ganz besonders dann, wenn Ausländer durch Belästigungen vertrieben und Flächenbrände gegen Asylbewerberheime initiiert werden. Das merken wir uns.

Ein Ratschlag an Apfels Anwalt: Vortragsnutte war natürlich eine pointierte Meinungsäußerung und eine Metapher! Schließlich sollte nicht wirklich zum Ausdruck gebracht werden, daß die sächsischen Abtrünnigen zuerst Vorträge hielten und dann ihre Körper verkauften.
zurück | drucken Erstellt am Donnerstag, 11. Januar 2007